Klimagerechtigkeit: Warum globale Gerechtigkeit der beste Klimaschutz ist

Klimagerechtigkeit ist ein Buzzword von Fridays for Future. Was hat das Klima mit globaler Gerechtigkeit zu tun?

Wir fürchten die Folgen der Klimakrise. Niemand von uns will auf einer kaputten Erde leben.

Aber schon heute lebt gut die Hälfte der Menschheit in einer Welt schlimmer als jede Klimadystopie. Ganze 4,5 Milliarden Menschen müssen mit weniger als 8 Euro pro Tag auskommen. 1

Schlimmer noch:

  • 3,0 Milliarden Menschen atmen täglich Rauch aus offenen Feuerstellen im Haus 2
  • 2,1 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser 3
  • 1,9 Milliarden Menschen können ihren Bedarf an Lebensmitteln nicht regelmäßig decken 4
  • Jeder dritte Todesfall geht auf die Weltarmut zurück 5

So krass sind nicht einmal die schlimmsten Folgen der Klimakrise. Und keine dieser Kennzahlen hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert.

Globale Armut ist das große Problem unserer Zeit. Mehr globale Gerechtigkeit leistet sogar einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz. Wohlstand ist nämlich das beste Verhütungsmittel.

Niedrigeres Bevölkerungswachstum hilft beim Klimawandel

“700 Millionen Chinesen und ich” beginnt ein Sechziger Jahre Hit von Jacques Dutronc. Heute sind es trotz Ein-Kind-Politik bereits 1400 Millionen Chinesen.

Auch global hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt. Seit 1970 wuchsen wir von 3,7 Milliarden auf 7,7 Milliarden Menschen. Im Jahr 2050 sollen wir fast 10 Milliarden Erdbewohner sein. 6

Je weniger Menschen wir sind, desto weniger CO2 stoßen wir aus. Je mehr Einkommen eine Familie hat, desto weniger Kinder hat sie. 7 Effektive Entwicklungshilfe ist also gleichzeitig effektiver Klimaschutz.

Natürlich sorgt ein höheres Einkommen auch für einen höheren CO2-Ausstoß. In China sind die Pro-Kopf-Emissionen heute zehn mal so hoch wie in den Sechzigern. 8

Aber wie China zeigt werden Schwellen- und Entwicklungsländer auch ohne unsere Hilfe wohlhabend. Es dauert aber länger. Und je langsamer sie ihren Wohlstand steigern, desto größer wird die Weltbevölkerung im Jahr 2050 sein.

Außerdem muss nicht die ganze Welt auf unserem sehr hohen Wohlstandsniveau leben. Bereits bei einem Zehntel des deutschen Wohlstands sinken die Geburtenraten auf 2-3 Kinder. 9 Auch in China sind die CO2-Emissionen nur rund halb so hoch wie bei uns. 10

Energiearmut im Satellitenbild bei Nacht: schwarze Flecken in Afrika, Südamerika & Asien

Energiearmut: Schwellenländer setzen auf fossile Energien

Schwellenländer haben für ihre Entwicklung einen enormen Energiehunger, aber nur wenige Ressourcen. Sie entscheiden sich also für die billigsten Energiequellen: Kohle und Öl.

Der Zubau von Kohlekraftwerken ist klimaschädlich, aber hilft auch beim Klimaschutz. Das Absenken des Bevölkerungswachstums durch weniger Energiearmut könnte sogar mehr CO2-Emissionen einsparen als die Kohlekraftwerke emittieren. 11

Deutlich klimafreundlicher wäre es aber, wenn man in Schwellenländern klimafreundliche Energiequellen bauen würde. Statt bei uns effiziente Kohlekraftwerke vorzeitig abzuschalten, könnte man im globalen Süden den Bau von Kohlekraftwerken von vornherein verhindern.

Dieses sogenannte Leapfrogging funktioniert aktuell nicht, weil saubere Energiequellen deutlich teurer sind als schmutzige.

Ein Solarpanel ist günstig, aber keine Alternative zu Dieselgenerator und Kohlekraftwerk. Eine LED-Lampe zu betreiben oder das Handy zu laden ist kein Weg aus der Armut. Und nicht einmal das mit der Lampe und dem Handy funktioniert zuverlässig, wie Solarprojekte im ländlichen Indien zeigen. 12

Schwellenländer brauchen versorgungssichere Energie für Landwirtschaft und Industrie um der Energiearmut zu entkommen. Das können volatile Erneuerbare nicht leisten.

Grünes Paradoxon: Kohleausstieg führt zu mehr Kohlekraftwerken

Der Kostenvorteil von Kohle und Öl wird sogar noch größer, je mehr wir Industrieländer aus fossilen Energien aussteigen. Durch die sinkende Nachfrage fallen die Brennstoff-Preise. Kohlekraftwerke und Ölverbrennung lohnen sich nun noch mehr.

Unser Ausstieg aus fossilen Energien in Industrieländern wirkt also in Schwellenländern wie eine Subvention für fossile Energien. Dieser Marktmechanismus ist als grünes Paradoxon bekannt.

Wir sparen letztlich durch das Abschalten unserer Kohlekraftwerke keine Emissionen, wir verlagern sie nur in den globalen Süden. Ohne Berücksichtigung dieses Wasserbett-Effekts verkommt Klimaschutz zu hohlem Aktionismus.

Das grüne Paradoxon geht sogar noch weiter. Weil die Förderländer angesichts fallender Preise ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollen, steigern sie sogar noch die Fördermengen von Kohle und Öl.

Fossile Energien: Das Angebot zählt, nicht die Nachfrage

Die Verbrennung von Öl, Gas und Kohle hat erst dann ein Ende, wenn die Förderung nicht mehr wirtschaftlich ist.

Jedes abgebaute Kilo Kohle und jeder geförderte Liter Öl werden schließlich auch verbrannt, egal wo.

Wenn wir nur auf die Nachfrageseite schauen, sind wir blind für wirkungsvolle Interventionen auf der Angebotsseite:

  1. Quellensteuer auf die Förderung von Kohle, Öl und Gas direkt bei der Förderung
  2. Lückenloser globaler CO2-Preis auf die Emissionen von Treibhausgasen
  3. Subvention von teuren aber sauberen Energieträgern in Schwellenländern

Steuern wie 1. und 2. sind deutlich schwerer politisch durchsetzbar als Subventionen wie 3.

Globaler Klimaschutz: Die Energiewende gelingt nur weltweit

Die Klimakrise ist ein ganz und gar globales Problem. Es ist völlig egal wo auf der Erde eine Tonne CO2 ausgestoßen wird. Jedes Kilo Treibhausgase beeinflusst die Atmosphärenkonzentration gleichermaßen.

Fast immer ist es günstiger CO2 in Ländern des globalen Südens einzusparen. Das liegt schon allein daran, dass der Lebensstandard deutlich niedriger ist. Klimaschutz ist dort selbst dann effizienter, wenn es die allergleichen Maßnahmen sind.

Außerdem steigern Klimaschutzmaßnahmen, die die Energiearmut senken den Wohlstand. Sie schaffen es also gleichzeitig die Weltbevölkerung zu senken. Maßnahmen im Energiesektor sind dort also effektiver.

Klimaschutzmaßnahmen im globalen Süden können also deutlich effektiver und effizienter sein. Wenn wir begrenzte Ressourcen lieber bei uns einsetzen, verschwenden wir Zeit und Geld.

Die Vermeidungskosten von Treibhausgasen werden von der Politik kaum betrachtet, sind aber enorm wichtig. Stell dir vor du kannst mit Maßnahme A zum gleichen Preis doppelt so viel CO2 einsparen wie mit Maßnahme B. Natürlich solltest du Maßnahme A ergreifen. Du kannst Geld nur einmal ausgeben.

Klimagerechtigkeit heißt globale Gerechtigkeit

Zurück zu Jacques Dutronc und seinem Sechziger Jahre Hit. Er singt: “900 Millionen hungern […] Und ich mit meiner vegetarischen Ernährung”.

Alle Zahlen in dem Chanson haben sich verdoppelt, so auch die Zahl der Hungernden. 2019 waren es bereits 2 Milliarden Menschen, die ihren Nahrungsbedarfs nicht regelmäßig decken können. Und durch die Corona-Pandemie kamen schätzungsweise noch rund 100 Millionen hinzu. 13

Bisher geht es in diesem Artikel um effizienten Klimaschutz. Aber wir haben auch eine moralische Verpflichtung Armut zu bekämpfen. Es kann doch wohl nicht sein, dass die globale Armut immer noch Jahr für Jahr steigt.

Die Klimakrise verschärft die globale Armut noch. Entwicklungsländer leiden früher und schwerer unter den Folgen der Erderwärmung. Sie sind weniger vorbereitet und im globalen Süden sind Wetterextreme wahrscheinlicher. 14

Verursacher der Klimakrise sind hingegen fast ausschließlich wir Industrieländer. Es gibt also eine Art Klimakolonialismus. Das spiegelt sich in unseren hohen kumulierten CO2-Emissionen seit der Industrialisierung wieder. 15

Für die Klimagerechtigkeit reicht es deshalb nicht verbleibende CO2-Budgets “fair” zu verteilen. Wir müssen unseren historischen Emissionen gerecht werden. Das geht zum Beispiel, indem wir aufstrebenden Ländern helfen ihren Energiehunger klimafreundlich zu stillen.

Was auch immer wir tun, wir können Entwicklungs- und Schwellenländern nicht einfach verbieten auch endlich ein Stück vom Kuchen zu wollen. Genau das fordern aber manche Aktivisten zum Beispiel durch Demonstrationen bei der Weltbank.

Fazit: Klimagerechtigkeit & globaler Klimaschutz

“C’est la vie, c’est la vie” singt Jacques Dutronc zur Weltarmut.

Aber so muss das Leben nicht mehr sein. Anders als in den Sechzigern haben wir heute genug Ressourcen. Nur an der Verteilung scheitert es.

Für den globalen Süden muss es einen bezahlbaren Weg aus der Armut geben. Eine globale Energiewende kann klimafreundlich die Energiearmut bekämpfen.

Anstrengungen für mehr Klimagerechtigkeit können den Wohlstand steigern. Sie leisten damit durch Rückgang der Weltbevölkerung einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz.

Quellen

  1. $10/day poverty line at 2011 PPP World Bank (2020)
  2. How many people do not have access to clean fuels for cooking? Our World in Data (2019)
  3. How many people do not have access to safe drinking water? Our World in Data (2019)
  4. How many people are moderately or severely food insecure? Our World in Data (2017)
  5. World Poverty and Human Rights Pogge (2006)
  6. World Population Prospects United Nations (2017)
  7. Demografisch-ökonomisches Paradoxon Wikipedia (2021)
  8. China: CO2 Country Profile Our World in Data (2020)
  9. Babies per woman vs Income Gapminder (2021)
  10. Per capita consumption-based CO₂ emissions Our World in Data (2018)
  11. Bevölkerungswachstum und Klimawandel: Warum fossile Brennstoffe für die armen Länder unverzichtbar sind Ganteför (2011)
  12. ‘We Do Not Want Fake Energy’: The Social Shaping of a Solar Micro-grid in Rural India Sharma (2020)
  13. Food Security and Nutrition around the World FAO (2020)
  14. Climate Risk Index Germanwatch (2021)
  15. Who has contributed most to global CO2 emissions? Our World in Data (2019)

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