Fact Check: 18 Kernkraft-Mythen von Harald Lesch

Harald Lesch ist ein Verteidiger der Wissenschaft. Warum aber verbreitet er einfach widerlegbare Mythen über die Kernkraft?

Alpha Centauri mit dem Astrophysiker Harald Lesch ist großartig. Die Sendung war in den Nuller Jahren ein früher Vorläufer der heutigen Youtube-Wissenschaftskanäle.

Wenn dir unser Universum nicht völlig egal ist, kann ich die Astronomie-Sendung auch heute noch empfehlen.

Harald Lesch widmet sich mittlerweile als Wissenschaftsjournalist politischen Themen auf dem Youtube-Kanal Terra X Lesch & Co.

Dort trägt er auch 18 Mythen über Kernkraftwerke zusammen. Die zivile Kernkraft ist in Deutschland ein äußerst politisches Thema.

Harald Lesch entlarvt diese Mythen aber nicht als solche. Ganz im Gegenteil, er verteidigt Falschaussagen, als wäre er selbst ein Kernkraftgegner.

Das ist ungefähr so schockierend, als ob Harald Lesch den menschengemachten Klimawandel anzweifelt und Argumente von Klimawandelleugnern vorträgt.

Das schreit nach einem Fact-Check

Fact Check: 3 Anti-Kernkraft-Videos von Harald Lesch

Die 18 Mythen sind in zeitlicher Reihenfolge sortiert. Du kannst so die Videos nebenbei schauen und stoppen um zu lesen. Neben jedem Mythos ist außerdem ein Link auf die genaue Stelle im Video.

Zum ersten Video gibt es eine Video-Antwort von Simeon Preuß, wenn dir das lieber ist. Mein Text geht aber in eine etwas andere Richtung.

Dieser Artikel wurde eine Woche vor dem 3. Video veröffentlicht. Das dritte Video hat noch ein paar Mythen nachgeliefert und eine Aktualisierung notwendig gemacht.

Ein halbes Jahr später kam schon wieder ein Video von Lesch zur Kernkraft. Diesmal räumt er ein, dass es nur mit Wind und Solar nicht geht. Die Kernkraft-Mythen wiederholt er aber nach wie vor und wartet lieber weiter auf die Fusionsforschung…

Auch zwei Video-Antworten auf einige der Mythen gibt es von Simeon Preuß: 1 2

1. Mythos: Uranvorkommen reichen nur noch 130 Jahre

01:58 Harald Lesch: “Zum Beispiel, die OECD, die schätzt, dass die Uranvorkommen auf der Welt ungefähr noch 130 Jahre reichen werden.”

130 Jahre sind sogar eine Größenordnung zu viel. Nur 12,7 Jahre könnten wir den gesamten Weltenergieverbrauch mit den bekannten förderbaren Uranvorkommen decken.

Beim aktuellen Uranpreis von 80 USD pro Kilogramm lohnt es sich aber bereits Uran aus dem Meerwasser zu extrahieren.1 Wenn wir nur 10% des Meerwasser-Urans extrahieren, können wir mit Uran die Welt 433 Jahre komplett versorgen.

An diesem Punkt können wir aufhören uns um Uranvorkommen Sorgen zu machen. 433 Jahre Reichweite mit aktueller Technologie sind mehr als genug Zeit um Alternativen zu finden. Zum Vergleich: wir nutzen Kohle erst seit 140 Jahren.

Uran reicht aber viele Millionen Jahre. Unsere Leichtwasserreaktoren nutzen weniger als 1 Prozent des Urans als Brennstoff. Durch Schließen des Brennstoffkreislaufes mit schnellen Reaktoren können wir rund 150 Mal mehr Energie aus den gleichen Uranvorkommen erzeugen.

Mit einem geschlossenem Brennstoffkreislauf reicht sogar der jährliche Zufluss von 32.000 Tonnen Uran durch Erosion in das Meerwasser um jedes Jahr das 4,5-fache des Weltenergieverbrauchs zu erzeugen. 2 Moderne Kernkraft ist nicht ohne Grund als erneuerbare Energie definiert.

2. Mythos: Kernkraft macht nur 4% der Primärenergie aus

02:43 Harald Lesch: “Es sind- 80 % kommen von fossilen Rohstoffen oder von fossilen Ressourcen und nur 4 % von der Kernkraft.”

Es stimmt, die Kernkraft stellt nur 4% der Primärenergie. Wasserkraft stellt 6%, Wind stellt 2% und Solar nur 1,3%. Sollen wir auf Wasserkraft, Kernkraft, Solar und Wind verzichten? Too little, too late?

Natürlich hat Harald Lesch recht, dass das viel zu wenig klimafreundliche Energie ist. Aber nicht der heutige Anteil ist entscheidend, sondern die Zubaugeschwindigkeit. Und die ist bei Kernkraft viel höher als bei Solar und Wind. 3

Wie Harald Lesch sagt stellen Kohle, Öl und Erdgas rund 80% des Energiebedarfs. Wenn wir die Fossilen und Biomasse ersetzen wollen, brauchen wir alle klimafreundlichen Energien, vor allem die schnell zubaubare Kernkraft.

3. Mythos: Kernkraftwerke führen zu Atombomben

08:13 Harald Lesch: “Ja dann entsteht dabei ja jede Menge Plutonium. Plutonium kann ja für nukleare Waffensysteme verwendet werden.”

Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurden die bei uns typischen Leichtwasserreaktoren eingesetzt um waffenfähiges Plutonium zu erbrüten. Mit existierender Technologie ist das gar nicht möglich. Das weiß ganz sicher auch Harald Lesch.

Waffenfähiges Plutonium muss, um eine kritische Masse zu erreichen, isotopenreines Pu-239 sein. In Leichtwasserreaktoren entsteht zwar auch Pu-239. Das ist aber viel zu stark mit Pu-240 verunreinigt.

Chemisch lassen sich Pu-239 und Pu-240 nicht trennen, weil es zwei Isotopen desselben Elements sind. Mit verbrauchten Brennstäben lässt sich also beim besten Willen keine Bombe bauen.

Um waffenfähiges Uran anzureichern brauchst du hingegen nicht mehr als Uranerz und eine große Zahl von Zentrifugen. Israel und Nordkorea haben Atombomben und keinen einzigen kommerziellen Kernreaktor im Land.

4. Mythos: Es gibt keine tiefengeologischen Endlager

08:30 Harald Lesch: “Es gibt kein einziges Endlager auf der Welt.”

Allein in Deutschland gibt es mehr als 40 tiefengeologische Endlager, davon 2 für Atommüll: Morsleben und Schacht Konrad.

Wir haben in Deutschland sogar das größte Endlager der Welt. In Herfa-Neurode sind auf der Fläche von München Millionen Tonnen Müll bis in alle Ewigkeit eingelagert.

5. Mythos: hohe Subventionen für Kernkraftwerke

11:34 Harald Lesch: “Wenn man sich anschaut, mit welchen Subventionen zum Beispiel selbst in Großbritannien heute Kernkraftwerks-Neubauten finanziert werden müssen”

Hinkley Point Block C ist der Kernkraftwerksneubau, den Harald Lesch meint. Es ist ein Prototyp des neuen EPR-Designs. Der Contract for Difference (CfD) liegt tatsächlich bei £90 pro MWh. Der CfD für Offshore Wind im gleichen Zeitraum war mit £140-150 pro MWh allerdings mehr als 150% so teuer. 4 Und das ist ein CfD, also ein Differenzvertrag. Das heißt, die tatsächliche Höhe der Subventionszahlungen für die Windprojekte dürfte pro kWh bei einem Vielfachen von denen für Hinkley Point C liegen.

Wenn Windkraft in Großbritannien extrem hoch subventioniert wird, dann muss man eben auch andere klimafreundliche Erzeuger wie die Kernkraft oder Photovoltaik subventionieren, sonst investiert niemand. Subventionen haben aber grundsätzlich nichts mit den Kosten zu tun. Unsubventionierte Kernkraftwerke sind sehr viel günstiger als unsubventionierte Solaranlagen und Windräder, siehe Mythos Nr. 10 & 11.

Übrigens, in Deutschland mussten kommerzielle Kernkraftwerke noch nie subventioniert werden. 5

6. Mythos: 100% Erneuerbare sind kein Problem

12:11 Harald Lesch: “Dazu brauchen wir eine etwas andere Infrastruktur. Man braucht vor allen Dingen mehr Energiespeicher. Man braucht vielleicht auch vernetztere Netze usw. Aber das ist alles viel ungefährlicher und viel unproblematischer”

Wir brauchen nicht “mehr Energiespeicher”. Wir haben noch gar keine Speicher mit großen Kapazitäten. Ja wir haben noch nicht einmal erprobte Speichertechnologien um auch nur theoretisch den Energiebedarf eines Landes mehrere Tage zu speichern.

Die fehlenden Speicher sind nicht “unproblematischer”, sondern das KO-Kriterium für ein Energiesystem mit 100% Erneuerbaren. Die aktuelle Speichertechnologie gibt das nicht einmal annähernd her.

Technologie schreitet voran, aber wir können nicht den Erfolg der Energiewende darauf verwetten, dass es in den nächsten Jahren einen gewaltigen Durchbruch bei Energiespeichern gibt.

7. Mythos: Strahlenfolgen für die Bevölkerung in Fukushima

03:57 Harald Lesch: “Anders sieht es aus bei dem kindlichen Schilddrüsenkrebs. Da war es so, dass der normale Erwartungswert wären 10 Fälle in der Region Fukushima. Jetzt hat man 167 Fälle entdeckt, die operiert werden mussten.”

Diese Fälle von Schilddrüsenkrebs wurden gefunden, als man kurz nach dem Reaktorunfall die Ausgangslage für langjährige Beobachtungen klären wollte. Es wurde vorher noch nie ein großer Teil der Bevölkerung ohne Symptome gescreent. Es gab also keinen Erwartungswert, man bestimmte damit den Erwartungswert.

Strahlenfolgen können das so früh gar nicht gewesen sein. Es dauerte selbst bei den um Größenordnungen höheren Mengen radioaktives Jod in Tschernobyl 5 Jahre, bis zu den ersten Fällen von Schilddrüsenkrebs. 6

In Fukushima war die Strahlenbelastung für die Bevölkerung viel niedriger als in Tschernobyl. Das UN-Expertengremium UNSCEAR erwartet überhaupt keine Strahlenschäden durch Fukushima, insbesondere keinen Schilddrüsenkrebs. 7

8. Mythos: Allgemeinheit zahlt den Rückbau der AKW

06:05 Harald Lesch: “Das ist angesichts der Kosten, die wir beim Rückbau zu bezahlen haben, Rückbau der Atomkraftwerke von 20 bis 25 Milliarden, ist das eigentlich gar nichts.”

Ja, der Rückbau aller AKW in Deutschland kostet rund 15 bis 25 Milliarden Euro. 8

Aber nicht wir zahlen diese Kosten, sondern die Betreiber. Die haben über die Betriebsjahre Rückstellungen gebildet, um den Rückbau zu finanzieren.

Umgerechnet auf den in Deutschland insgesamt erzeugten Atomstrom, liegen die Rückbau-Kosten bei rund 0,1 Cents pro kWh. Das ist günstiger als der Rückbau von Windrädern.

Die Rückbaukosten pro kWh wären noch günstiger, wenn man die Kernkraftwerke nicht vorzeitig aus politischen Gründen abschalten würde.

9. Mythos: Keine Stromimporte durch Atomausstieg

07:01 Harald Lesch: “Musste jetzt Deutschland nach dem Ausstieg aus der Kernkraft auf einmal Atomstrom von woanders einkaufen? Zum Beispiel aus Frankreich. Die Antwort ist: Nein. Seit 2002 verkaufen wir nur noch Strom. Wir importieren gar nichts mehr.”

Keine Stromimporte seit 2002?? Natürlich importieren wir Strom, auch aus französischen, schwedischen, niederländischen, belgischen, tschechischen und schweizerischen Kernkraftwerken. In naher Zukunft werden wir sogar Atomstrom aus Polen importieren.

2020 haben wir fast 50 TWh importiert und die Jahre vorher um die 40 TWh. 9 Das waren 2020 knapp 10% des deutschen Stromverbrauchs.

Harald Lesch rechnet das Jahresmittel von Exporten und Importen auf, als ob die Exporte bei Sonnenschein im Juli die Importe bei Dunkelflaute im Januar einfach ungeschehen machen.

Das ist so als ob du deine Heizung verkaufst, weil die Jahresmitteltemperatur in Deutschland bald bei 15 Grad Celsius liegt. Das heißt doch nicht, dass es niemals kalt wird…

10. Mythos: Gestehungskosten ohne Systemkosten

08:04 Harald Lesch: “schauen wir uns mal eine Vollkostenrechnung an, nämlich den Neubau einer Anlage, den Betrieb einer Anlage, die Rohstoffkosten und den Abbau einer Anlage.”

Harald Lesch schlägt eine “Vollkostenrechnung” vor, aber berücksichtigt nur die Gestehungskosten.

Insbesondere unterschlägt er die Integrationskosten in das Stromnetz: 10

  • Netzkosten
  • Kosten für Backup
  • Kosten für Regelenergie
  • Kosten für Überproduktion
  • Kosten für Volllaststundenreduktion

Diese Systemkosten sind bei Wind und Solar deutlich teurer als bei konventionellen Kraftwerken. Sie wachsen außerdem bei wetterabhängigen Erneuerbaren überproportional mit weiterem Zubau.

In Deutschland sind die Systemkosten von Wind und Solar bereits höher als ihre Gestehungskosten. Und sie steigen immer mehr, siehe Vollkosten für Deutschland inklusive Systemkosten.

11. Mythos: Kernkraft wird immer teurer

09:09 Harald Lesch: “Also trotz jahrzehntelanger Entwicklung und Verbesserung der Kraftwerkstechnologie ist die Kernkraft heute ökonomisch tot, weil sie zu teuer ist.”

Wie man im Diagramm mit Daten von der IEA für Mitteleuropa oben sieht, wurde Kernkraft zwischen 2010 und 2020 in Mitteleuropa nicht teurer, sondern um 20% günstiger. Wenn man noch weiter zurückgeht bis 1970, sind die Kosten von Serienreaktoren ungefähr gleichgeblieben. 11

Harald Lesch beruft sich im Video aber nicht auf Studien mit europäischen Werten, sondern ausgerechnet auf Lazard Levelized Costs of Interest. Lazard ist keine gute Referenz, aus mehreren Gründen:

  • betrachtet nur die USA, wo Kernkraftwerke deutlich teurer sind als im Rest der Welt 12
  • senkt die Laufzeiten von Kernkraftwerken auf nur 40 Jahre statt 60 Jahre, was die Kosten auf 150% erhöht
  • verwendet einen Abzinsfaktor von 10% statt 3-5%, was die Kosten von Kernkraft im Vergleich zu Solar mehr als verdreifacht 13

Allein diese drei Annahmen erhöhen den Preis von Kernkraftwerken um eine Größenordnung. Lazard weist also normalisiert und auf deutsche Standortfaktoren korrigiert noch deutlich günstigere Gestehungskosten zu Kernkraft aus als andere Studien.

In den USA haben Solar und Wind außerdem deutlich bessere Standortfaktoren. Lazard geht von 30% Kapazitätsfaktor bei Solar und 55% bei Wind aus, verglichen mit 10% und 20% in Deutschland. Photovoltaik und Windkraft in Deutschland sind also fast drei Mal so teurer, wie von Lazard dargestellt.

12. Mythos: Es gibt mehr Störfälle je älter ein AKW ist

09:56 Harald Lesch: “Je älter die Anlage ist, umso mehr meldepflichtige Störfälle haben wir da. Das heißt also, je älter der Kernkraftwerke werden, umso risikobehafteter werden sie.”

Es gab in kommerziellen AKW in Deutschland insgesamt nur 3 meldepflichtige Störfälle. Einer war im Kernkraftwerk Unterweser (1998) und zwei im Kernkraftwerk Philippsburg 2 (beide 2001). Wenn man durch diese 3 Datenpunkte eine Trendlinie legt, dann wird es wirklich immer gefährlicher! (Achtung: Ironie)

Was Harald Lesch im Video zeigt sind keine meldepflichtigen Störfälle, sondern alle meldepflichtigen Ereignisse. Die Kernkraftbranche ist die am stärksten regulierte der Welt, noch vor der Luftfahrt. Es müssen auch Ereignisse gemeldet werden, die keine Relevanz für die Sicherheit haben.

Fast alle diese meldepflichtigen Ereignisse sind auf der INES-Skala eine 0. INES 0 ist definiert als “Keine oder sehr geringe sicherheitstechnische Bedeutung – unterhalb der Skala”.

13. Mythos: Kleine modulare Reaktoren sind kleine Großkraftwerke

04:05 Harald Lesch: “Um die Leistung eines großen Kernkraftwerks zu präsentieren braucht man fünf von diesen Mini-Kraftwerken, manchmal sogar noch mehr”

Kleine modulare Reaktoren sollen kein Ersatz für Großkraftwerke in Industrieländern wie Deutschland sein. Dafür sind bestehende Kernkraftwerke der Gigawattklasse deutlich besser geeignet.

Geplante Anwendungsbereiche für SMRs sind zum Beispiel:

  • Länder mit Grundlast im einstelligen GW-Bereich, also fast alle Länder.
  • Bereitstellung von Fernwärme/Prozesswärme – 100 MW elektrisch sind 300 MW thermisch
  • Hochtemperaturreaktoren zur effizienten Herstellung von klimafreundlichem Wasserstoff
  • Ersatz von Kohlekraftwerken unter Beibehaltung der Turbinen und Infrastruktur

Anders als im Strommarkt gibt es hier auch in 10 oder 20 Jahren noch ordentlich Potential – auch in Deutschland. Allein der Wärmesektor ist mehr als doppelt so groß wie der Stromsektor und deutlich schwieriger zu dekarbonisieren.

Klimafreundlich erzeugter Wasserstoff wird in wenigen Jahren heiß begehrte Mangelware sein. Wir wollen schließlich auch den Transportsektor vollständig dekarbonisieren.

Harald Lesch geht leider gar nicht auf die vielen verschiedenen Nischen ein, die die insgesamt 70 SMR-Designs besetzen wollen. Wir müssen ja nicht nur den Stromsektor in Industrieländern dekarbonisieren.

14. Mythos: Kernkraftwerke sind nicht sicher genug

05:43 Harald Lesch: “Welches Risiko gehen wir ein, wenn wir Mini-Kernkraftwerke verwenden in Zukunft und wie steht dieses Risiko im Vergleich zu dem Risiko des Klimawandels”

Das Risiko des Klimawandels spielt hier keine Rolle. Wir müssen die Sicherheit von Kernkraftwerken mit denen von anderen Erzeugern vergleichen, die ein Kernkraftwerk ersetzen könnten.

Dabei kommt heraus, dass die Kernkraft die sicherste Energiequelle ist, trotz Unfällen, Uranabbau, Urananreicherung, Wiederaufbearbeitung und Entsorgung von Atommüll. Dabei ist noch nicht eingerechnet, dass Wind und Solar zusätzlich ein Erdgas-Backup benötigen.

Dabei ist auch nicht berücksichtigt, dass die in dem Video besprochenen Mini-Kernkraftwerke mit passiver Kühlung noch einmal deutlich sicherer sind, als unsere Gigawatt-Reaktoren.

Überrascht? Das war ich auch, als ich diese Statistik 2009 zum ersten Mal gesehen habe. Ich war damals eigentlich gegen Kernkraft, aber musste meine Meinung in Folge langsam ändern.

Natürlich trägt die Kernkraft auch zur Senkung der CO2-Emissionen bei. Aber es ist doch wohl selbstverständlich, dass man heute nur noch klimafreundliche Erzeuger baut.

15. Mythos: Kernkraftwerke sind nicht CO2-neutral

09:34 Harald Lesch: “Wir müssen an die Kernenergie ran, denn die produziert zwar Kohlendioxid beim Bauen […]”

Das ist gar kein Mythos. Es stimmt, die Kernkraft ist nicht CO2-neutral. Aber auch alle anderen Erzeuger sind nicht CO2-neutral.

Wie vorher schon bei der Sicherheit, müssen wir wieder vergleichen zwischen Kernkraftwerken und ihren Alternativen.

Der Weltklimarat hat 2014 eine Metastudie über Hunderte Einzelstudien gemacht. Auf deutsche Standortfaktoren umgerechnet und mit Berücksichtigung von Erdgas-Backup, ist Kernkraft sogar die klimafreundlichste Energiequelle.

Das soll nicht heißen, dass Solar, Wind und Wasser schlecht sind. Wir brauchen alle klimafreundlichen Energiequellen!

16. Mythos: Der Bau von Kernkraftwerken dauert zu lange

14:25 Harald Lesch: “Herkömmliche Kernkraftwerke […] brauchen von der Planung bis zum Einsatz […] circa 15 Jahre und Standard Wind-Anlagen oder Photovoltaik-Anlagen sind mit 2 bis 5 Jahren am Start”

Die Quelle für die 15 Jahre würde ich gerne sehen. Die reine Bauzeit von Kernkraftwerken beträgt halb so lange, nämlich im Schnitt 7,5 Jahre. 14

Besonders ironisch ist, dass es hier um Mini-Reaktoren geht. Die haben den Anspruch deutlich schneller zubaubar zu sein, als Reaktoren der Gigawatt-Klasse.

Zumindest vergleicht Harald Lesch endlich die Alternativen. Aber es reicht nicht ein Kernkraftwerk mit einem Windrad zu vergleichen. Ein einziges Kernkraftwerk erzeugt so viel Strom wie 4.000 bis 6.000 Windräder. 15 Und als Backup musst du noch 2-3 Gaskraftwerke zu den Windrädern bauen.

Wenn man sich die zugebaute Stromerzeugung pro Person und Jahr anschaut, dann ist der Ausbau von Kernkraft deutlich schneller als bei Wind und Solar.

Dieses Argument wäre dann zulässig, wenn wir in weniger als 10 Jahren vollständig dekarbonisiert sein könnten. Das glauben aber nicht einmal die optimistischsten Experten.

17. Mythos: Lizenzierung von kleinen Reaktoren ist schwieriger

14:54 Harald Lesch: “Wir haben es nämlich mit einem Reaktor-Typ zu tun, der völlig neu ist. Und der muss genehmigt werden”

Die kleinen Reaktoren sind nicht völlig neu. Von den 20 am weitesten fortgeschrittenen SMR-Designs, sind die Hälfte Leichtwasserreaktoren. 16

Das sind also die bekannten Siedewasserreaktoren (BWR) und Druckwasserreaktoren (PWR), die auch in Deutschland im Einsatz sind. SMRs sind sogar noch minimalistischer und deshalb einfacher zu lizenzieren.

Auch viele der verbleibenden Reaktor-Designs sind nicht grundsätzlich neu. Es gibt mit gasgekühlten, graphitmoderierten Reaktoren fast so viel Erfahrung wie mit Leichtwasserreaktoren.

Auch mit flüssigem Metall gekühlte Reaktoren sind mit den BN-Reaktoren bereits im kommerziellen Einsatz. Richtig neu dürften im kommerziellen Betrieb nur die 4 Flüssigsalzreaktor-Designs sein.

Wie Harald Lesch selbst sagt, ist die Lizenzierung eine Formalität. Die kann man verlangsamen oder beschleunigen. Die US NRC hat erst letztes Jahr ihre Regeln geändert, um die Lizensierung von neuen Reaktordesigns zu beschleunigen.

Kein Wunder, dass 8 der 20 führenden SMR-Startups in den USA angesiedelt sind. Auch kein Wunder, dass in Deutschland kein einziges Reaktor-Startup angesiedelt ist, obwohl wir mit dem Dual Fluid Reaktor ein vielversprechendes Konzept haben.

18. Mythos: Kernkraft taugt nicht zum Klimaschutz

18:05 Harald Lesch: “Wäre die Kernenergie sicherer, schneller zur Verfügung und billiger dann könnte die Kernenergie in Form von kleinen modularen Reaktoren tatsächlich helfen.”

Werden kleine modulare Reaktoren billiger, sicherer und schneller zubaubar sein als aktuelle Kernkraftwerke? Ich habe da meine Zweifel, besonders beim Preis.

Das ist aber reine Kaffeesatzleserei. Es gibt noch kein serienreifes Modell. Die ersten Prototypen in Russland, China und Argentinien sind fertiggestellt. Weitere Prototypen in den USA, Russland, Kanada, Südkorea sowie Dänemark und Großbritannien sollen folgen.

Wir müssen aber nicht auf neue Reaktor-Designs warten, schon gar nicht in Deutschland. Aktuelle Gigawatt-Reaktoren sind bereits billiger, sicherer und schneller zubaubar als die klimafreundlichen Alternativen Solar und Wind.

Kernkraft und Doppel-Standards

Wenn du nur ein Fazit aus diesem Fact Check mitnimmst, dann lass es die Abwägung von Alternativen sein. Wir müssen Kernkraftwerke immer mit alternativen Erzeugern vergleichen, z.B. bei:

  • Emissionen
  • Vollkosten
  • Sicherheit
  • Zubau-Geschwindigkeit
  • Flächenbedarf
  • Ressourcenbedarf
  • Müllmengen
  • Blackout-Risiko

Aber bitte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Harald Lesch vergleicht hier lediglich Teile der Gesamtkosten oder die Zubaugeschwindigkeit eines einzigen Windrades mit einem einzigen Kernkraftwerk.

Nur durch faire Vergleiche lassen sich Doppel-Standards vermeiden.

Noch mehr Kernkraft-Mythen von Harald Lesch

Es gibt sogar noch ein älteres Anti-Kernkraft-Video von Harald Lesch zum Nischenthema Flüssigsalz-Reaktoren namens “Atomkraft ohne Risiko? Der Flüssigsalzreaktor” (2017). Harald Lesch macht dort noch deutlich mehr Fehler als in den drei hier betrachteten Sendungen, siehe Video-Antwort von Felix Letkemann.

Viele der Falschaussagen in den vier Videos lassen sich durch eine kurze Google-Suche widerlegen. Gibt es bei Terra X keinen Fact-Checker?

Dass wir in Deutschland seit 2002 keinen Strom mehr importieren, ist eigentlich sogar eine glatte Lüge von jemandem, der es wirklich besser wissen sollte.

Warum spickt man vier Videos mit Falschaussagen, wenn man neutral und unbefangen über ein Thema aufklären will? Das hat ein starkes ideologisches Gschmäckle.

25 Kernkraft-Mythen: das Anti-Atom-Bullshit-Bingo

Es gibt sogar noch mehr Kernkraft-Mythen. Es sind eigentlich immer die gleichen Argumente, die man von Kernkraftgegnern hört, die es mit den Fakten nicht so genau nehmen.

Vom Verein Nuklearia gibt es jetzt passend dazu das Anti-Atom-Bullshit-Bingo. Jetzt kannst du Bingo spielen mit den 25 gängigsten Kernkraft-Mythen.

Besonders eifrige Kernkraftgegner haben sogar ganze 100 Gründe gegen Atomstrom zusammengetragen. Hier ist der Fact-Check dazu.

Mal schauen, ob Harald Lesch noch ein Video macht um auch die verbleibenden Kernkraft-Mythen zu verteidigen. Zuzutrauen ist es ihm leider.

Update nur 10 Tage später: Er hat es getan. Harald Leschs neuestes Video zu SMRs enthält weitere Kernkraft-Mythen. Es fehlen noch ca. 2 Videos, um das Bullshit-Bingo komplett zu machen.

Ist Harald Lesch ein Technologie-Pessimist?

Je mehr ich von Harald Lesch sehe, desto mehr bekomme ich den Eindruck, er ist seit den Tagen von Alpha Centauri zum Technologie-Pessimisten geworden.

Andererseits bewirbt er Desertec als Alternative zur Kernkraft. Das enorm ambitionierte technologische Unterfangen ist schon einmal gescheitert. Da kann man auch gleich Atlantropa wiederbeleben.

Zugegeben, ich war vor vielen Jahren auch mal ein großer Fan von Desertec. Aber man muss schon über sehr viele Probleme hinwegsehen, um so ein Projekt für realistisch zu halten.

Pragmatische Klimaschützer hören auf die Experten vom Weltklimarat. Die sagen, wir müssen schnellstmöglich alle klimafreundlichen Energiequellen ausbauen, insbesondere auch die Kernkraft.

Fazit: So geht Wissenschaftsjournalismus nicht

Technologiefeindlich oder nicht: Es ist auf jeden Fall sehr enttäuschend, wenn ein Verfechter der Wissenschaft Mythen über die Kernkraft unhinterfragt nachplappert.

Harald Lesch ist sich nicht einmal zu schade Kernkraftwerke mit Atombomben zu verbinden. Das ist der älteste Trick aus der Rhetorik-Kiste der Kernkraftgegner.

Und das kommt in einem Tonfall, wie bei einem Vertreter von “Ausgestrahlt”. Einmal meint Harald Lesch sogar die Kernspaltung sei perfide. Kernkraftwerke sind also hinterhältig oder niederträchtig? Echt jetzt?

Wer so einen Wissenschaftsjournalismus hat, braucht zumindest keine Wissenschaftsleugner mehr. Das ist dann schon gleich mit erledigt…

Mensch Harald, you were the chosen one!

Quellen

  1. Ultrahigh and economical uranium extraction from seawater via interconnected open-pore architecture poly(amidoxime) fiber Xu et al (2020)
  2. Breeder reactors: A renewable energy source Cohen (1983)
  3. Largest 10-year deployments of low-carbon electricity generation Chalmers (2020)
  4. United Kingdom Support for five Offshore Wind Farms: Walney, Dudgeon, Hornsea, Burbo Bank and Beatrice European Comission (2014)
  5. Schriftliche Anfrage von Dr. Paul Laufs (CDU/CSU) Antworten der Bundesregierung (2002)
  6. Lessons from Fukushima: Latest Findings of Thyroid Cancer After the Fukushima Nuclear Power Plant Accident Yamashita et al (2018)
  7. Sources, effects and risks of ionizing radiation UNSCEAR (2021)
  8. Atomrückstellungen für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung BUND (2014)
  9. Kommerzieller Außenhandel SMARD (2021)
  10. System LCOE: What are the costs of variable renewables? Ueckerdt et al (2013)
  11. Lovering (2016)
  12. Nuclear is a Crucial Piece of the Carbon-Free Puzzle Ruishalme (2018)
  13. Discounting and costs (Part 2): IPCC WGIII report on mitigation Korhonen (2014)
  14. How long does it take to build a nuclear power plant? Mearns (2016)
  15. Annahmen – Kernkraft: 1600 MW, 90% Kapazitätsfaktor, 60-90 Jahre Laufzeit – Wind an Land: 3 MW, 25% Kapazitätsfaktor, 30 Jahre Laufzeit
  16. Small Nuclear Power Reactors World Nuclear Association (2021)

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