Vollkosten pro kWh: Welche ist die günstigste Energiequelle 2022?

Werden Wind und Solar immer billiger? Ist Kernkraft teuer oder günstig? Hier sind die Vollkosten für Energiequellen pro kWh Elektrizität.

Die Kostenfrage ist die Gretchenfrage. Das gilt besonders beim effizienten Klimaschutz.

Wenn eine Maßnahme bei gleichem Budget doppelt so effektiv ist, dann macht es keinen Sinn auf die weniger wirkungsvolle Maßnahme zu setzen.

Bei der Stromerzeugung sind die Kostenunterschiede sogar deutlich größer als eine Verdopplung.

Elektrizität aus Biogas und Dachsolar ist um ein Vielfaches so teuer wie neue Wasserkraftwerke oder Kernkraftwerke.

Dabei ist es wichtig nicht nur die Stromgestehungskosten zu berücksichtigen, sondern auch Systemkosten und den CO2-Preis.

Hier sind die Vollkosten für verschiedene Energieerzeuger am Standort Deutschland und Nachbarländern.

Die günstigsten Energiequellen pro kWh Elektrizität

Vollkosten nach Stromerzeuger in Deutschland 3 7 brennstoff - Vollkosten pro kWh: Welche ist die günstigste Energiequelle 2022?

Dies sind die Vollkosten für Energiequellen in Deutschland nach Eurocent pro Kilowattstunde Strom bei 5% realem Abzinsfaktor:

  • 2,8 €Cent/kWh AKW Verlängerung
  • 3,7 €Cent/kWh Wasserkraft
  • 5,0 €Cent/kWh AKW neu
  • 5,8 €Cent/kWh Wind an Land
  • 6,6 €Cent/kWh Solarpark
  • 7,9 €Cent/kWh Wind offshore
  • 11,1 €Cent/kWh Dachsolar
  • 14,4 €Cent/kWh Biogas
  • 16,1 €Cent/kWh Braunkohle
  • 21,7 €Cent/kWh Steinkohle
  • 24,5 €Cent/kWh Erdgas & Dampf
  • 38,7 €Cent/kWh Erdgas, offene Turbine

Die Laufzeitverlängerung von abbezahlten Kernkraftwerken um ein bis zwei Jahrzehnte ist die günstigste Art Strom zu erzeugen. Zu Beginn der kommerziellen Kernkraft ist man noch von nur 40 Jahren Lebenszeit ausgegangen. Es war damals unklar, wie lange ein Reaktordruckbehälter und Stahl in radioaktiver Umgebung einsatzfähig bleiben. Die Praxis hat aber gezeigt, dass Leichtwasserreaktoren Jahrzehnte länger laufen können. Die ersten Laufzeiten wurden auf 80 Jahre verlängert und 100 Jahre werden von Regulatoren untersucht.

Auch der Neubau von Kernkraftwerken sowie Wasserkraftwerken ist dank langer Lebenszeiten günstig. Man geht heute von mindestens 80 Jahren Laufzeit bei Wasserkraft und mindestens 60 Jahren Laufzeit bei AKW aus. Das Problem bei solch langen Zeiträumen ist der hohe Kapitalaufwand zu Beginn bei unvorhersehbaren Marktverhältnissen in Jahrzehnten.

Wind und vor allem Solar sind bis vor wenigen Jahren jedes Jahr günstiger geworden. Sie sind aktuell nur noch wenig teurer als Wasserkraft und Kernkraft, insbesondere wegen ihrer hohen Systemkosten. Wenn Deutschland nicht schon einen so hohen Systemanteil von wetterabhängigen Erneuerbaren hätte, wären Windräder und Solarparks bereits konkurrenzfähig zu Kernkraft und Wasserkraft.

Die fossilen Energieträger Kohle und Gas sind seit der Energiekrise 2021 deutlich teurer als Kernkraft und Wasserkraft. Ebenfalls verheerend für die Preise ist der rapide Anstieg der CO2-Preise von rund 25€ pro Tonne CO2-Emissionen auf 90€ in nur zwei Jahren.1

2022: Verzigfachung bei Gaspreis, Kohlepreis & CO2-Preis

In m 2. Halbjahr 2021 und seit dem Ukrainekrieg 2022 gab es enorme Preissteigerungen in Europa mit Verfünffachung von Gaspreis und Steinkohlepreis:

  • Gaspreis 2
  • Steinkohlepreis 3

Das führte zu beträchtlichen Steigerungen der Vollkosten fossiler Erzeuger. Der Strompreis am Spotmarkt und am Terminmarkt hat sich dadurch stark erhöht und schlägt früher oder später auch auf die Strompreise für Endverbraucher durch.

Braunkohle wird nicht global gehandelt, wegen der durch enorme Fördermengen unerschwinglichen Transportkosten. Die Gestehungskosten von Braunkohle sollten sich also kaum verändert haben. Der ebenfalls gestiegene CO2-Preis hat die Kosten des schmutzigsten Erzeugers aber um so mehr erhöht.

Seit 2022 sind erstmals alle klimafreundlichen Erzeuger in Deutschland, selbst Dachsolar, günstiger als klimaschädliche fossile Energien und Biomasse. Es gibt aber immer noch Preisunterschiede zwischen den günstigen sauberen Erzeugern Wasserkraft und Kernkraft und den teureren volatilen Erzeugern Wind und Solar.

Was sind Stromgestehungskosten?

Stromgestehungskosten umfassen Kapitalkosten und variable Kosten über das Leben einer Energiequelle, unter anderem: 4

  1. Rohstoffe
  2. Konstruktion
  3. Instandhaltung
  4. Lohnkosten
  5. Versicherung
  6. Pacht
  7. Brennstoffe
  8. Rückbau
  9. Entsorgung

Es wird dabei der komplette Lebenszyklus betrachtet, von der grünen Wiese zum Kraftwerk und zurück zur grünen Wiese – inklusive Entsorgung.

Die Stromgestehungskosten unterscheiden sich global, je nach Rohstoffpreisen, Expertise und Klima:

  • In den USA sind Gaskraftwerke durch Fracking-Erdgas rund ein Drittel günstiger.
  • Russische Kernkraftwerke sind wegen der hohen Expertise rund ein Drittel günstiger.
  • In Australien ist Photovoltaik wegen der vielen Sonnenstunden nur halb so teuer.

Der Wert für Kernkraft hier im Artikel bezieht sich auf einen Reaktor-Prototyp und ist deshalb höher als er sein müsste. Das Kernkraftwerk in Flamanville ist leider der einzige Reaktorneubau in den letzten Jahren in der Nähe von Deutschland.

Die Zahlen hier im Artikel stammen aus Deutschland und unseren Nachbarländern. 5

Systemkosten Solarstrom in Deutschland - Vollkosten pro kWh: Welche ist die günstigste Energiequelle 2022?

Was sind Systemkosten?

Zu den Stromgestehungskosten kommen noch Integrationskosten in das Stromnetz, die Systemkosten.

Für die meisten Energiequellen sind die Systemkosten konstant niedrig mit 0,1 bis 0,2 Cent pro kWh. Schnell regelbare offene Gasturbinen liegen sogar bei 0,05 Cent pro kWh. 6

Hohe Systemkosten verursachen dagegen die wetterabhängigen Erzeuger Wind und besonders Solar. Ein Modell für deutsche Erzeuger schlüsselt das genau auf: 7

  • 5% Systemanteil: 2,8 Cent/kWh Wind, 2,8 Cent/kWh Solar
  • 10% Systemanteil: 3,7 Cent/kWh Wind, 4,5 Cent/kWh Solar
  • 15% Systemanteil: 4,4 Cent/kWh Wind, 5,5 Cent/kWh Solar
  • 20% Systemanteil: 4,8 Cent/kWh Wind, 7,3 Cent/kWh Solar
  • 25% Systemanteil: 5,1 Cent/kWh Wind, 12,3 Cent/kWh Solar

Die Systemkosten von Solar steigen deutlich schneller als die von Wind, weil der Kapazitätsfaktor kleiner ist. Außerdem fällt die Solarstromerzeugung jeden Abend vollständig aus und trägt nichts zur Deckung der Jahres-Spitzenlasten an Winterabenden bei.

Noch teurer sind die Integrationskosten von Offshore Wind, wegen der enormen Anbindungskosten an das Festlandnetz. Für den 2,4 GW Windpark Doggerbank müssen zum Beispiel 2 Milliarden Euro für die Landanbindung investiert werden.8 In Deutschland kommen dazu noch die Hochspannungsleitungen vom Norden nach Süden. Die HGÜs Südlink, Südostlink, Ultranet und A-Nord kosten jeweils rund 2 Milliarden Euro.

Systemkosten Windkraft in Deutschland - Vollkosten pro kWh: Welche ist die günstigste Energiequelle 2022?

Systemkosten von volatilen Erneuerbaren

Die Systemkosten für Wind und Solar stammen aus einer viertelstündlichen Betrachtung von Produktion und Verbrauch in Deutschland über ein Jahr. Es werden 6 Komponenten der Systemkosten berücksichtigt (1-6):

  1. Netz
    Der durch die Integration nötige Netzausbau und die Netzerweiterung.
  2. Regelenergie
    Kosten durch Netzeingriffe, insbesondere durch unerwartete Ausfälle.
  3. Backup
    Erwartete Ausfälle zum Beispiel für Wartung oder bei Flaute und Nachts für Wind und Solar.
  4. Überproduktion
    An sonnen- oder windreichen Tagen kann der zu viel produzierte Strom nicht verbraucht werden.
  5. Volllaststunden-Reduktion
    Solar und Wind können bestehende Kraftwerke nicht ersetzen. Sie senken aber deren Produktion und verursachen so zusätzliche Kosten.
  6. Kapazitätsanpassung
    Durch Wind und Solar wird ein Umbau des Kraftwerksparks nötig, z.B. Gaspeaker statt Grundlastkraftwerken.
  7. Flexibilität
    Steile Leistungsrampen von Wind und Solar erhöhen Verbrauch und Verschleiß bei fossilen Kraftwerken in Lastfolge.

Die letzten 4 Posten tauchen aufgrund der Abhängigkeit vom Wetter nur bei Wind und Solar auf. Die ersten 3 Posten spielen bei allen Energiequellen eine Rolle. Sie sind allerdings bei Solar und Wind kostspieliger, wegen der Entfernung zum Verbraucher, der ungenauen Produktionsvorhersage und den sehr häufigen Backup-Situationen. Die Systemkosten durch Flexibilität (7.) wurden nicht berücksichtigt, sie fallen aber wohl niedrig aus.

Viele der Systemkosten äußern sich an der Strombörse am niedrigen Wert von Wind- und Solarstrom sowie an insgesamt sinkenden Wert von Elektrizität beim Zubau von Wind und Solar. Deshalb ist in der Literatur auch die Rede vom Systemwert, etwa VALCOE 9 oder LACE 10. Ob man Systemwert oder Systemkosten betrachtet ist aus ökonomischer Sicht egal. Die Systemkosten sind aber deutlich einfacher vergleichbar.

In Deutschland werden Wind und Solar wegen ihrer Unvorhersehbarkeit nicht am Terminmarkt oder OTC gehandelt. Sie müssen sich mit den niedrigen Preisen am Spotmarkt begnügen. Selbst am Spotmarkt ist der Börsenpreis von Wind und Solar im Schnitt niedriger als der von anderen Energiequellen. Während dem vorübergehend hohen Systemanteil während dem nachfragearmen Corona-Lockdown 2020 sank der Wert von Wind- und Solarstrom durch Überproduktion sogar noch deutlich von 3 Cent pro kWh auf unter 1 Cent pro kWh.

Solche Gewinneinbußen werden in Deutschland nicht vom Verursacher getragen, sondern über die EEG-Umlage vom Stromverbraucher. Andere Komponenten der Systemkosten sind in Deutschland auch nicht nach dem Verursacherprinzip internalisiert. Das betrifft insbesondere den Netzausbau, die Volllaststundenreduktion und die Regelenergie.

Diese Kosten werden von Dritten übernommen, aber letztendlich auf den Stromverbraucher umgelegt in Form von hohen Strompreisen. Systemkosten sind in Deutschland also externe Kosten, die nicht vom Verursacher bezahlt werden.

Was sind externe Kosten?

Sicherste Energiequellen nach Todesopfern ohne Klimawandel - Vollkosten pro kWh: Welche ist die günstigste Energiequelle 2022?

Systemkosten sind nicht die einzigen externen Kosten. Eine große Rolle spielt auch die Sicherheit von Energiequellen, egal ob im laufenden Betrieb oder bei Unfällen. Jeden Tag sterben an der Luftverschmutzung durch fossile Brennstoffe und Biomasse rund 10.000 Menschen. Dagegen verblassen selbst große Energie-Unfälle wie das Wasserkraftwerk Banqiao (200.000 Todesfälle), das Wasserkraftwerk Machchhu (10.000 Todesfälle) und das Kernkraftwerk Tschernobyl (~200 Todesfälle).

Ein prominentes Beispiel für externe Kosten ist der Klimawandel. Ein Teil der Klima-Kosten wird in der EU über den Emissionshandel internalisiert, indem Stromerzeuger für ihre CO2-Emissionen bezahlen. Der Preis ergibt sich durch die Nachfrage am Markt und das begrenzte Angebot von Emissionszertifikaten pro Jahr (Cap and Trade).

Der aktuelle CO2-Preis liegt bei rund 90€ pro ausgestoßener Tonne. 11 Damit wird hier im Artikel gerechnet.

Die Zertifikate werden jedes Jahr verknappt, wodurch der Preis langfristig steigt. Das wissen allerdings auch die fossilen Erzeuger. Die haben sich in den letzten Jahren mit Zertifikaten zu viel niedrigeren Preisen eingedeckt. Der aktuelle Preis ist also für bereits laufende Kraftwerke mit einem Vorrat an Zertifikaten leider nicht aussagekräftig.

Stark umstritten ist die faire Höhe des CO2-Preises um die tatsächlichen Kosten abzubilden. Die Berechnungen zu den sogenannten Social Costs of Carbon reichen von wenigen Euro bis Hunderten Euro pro Tonne CO2. Die Schadenshöhe hängt stark von Klimamodell, Klimafolgenerwartung, Kipppunkten und mehr ab. 12

Weitere externe Kosten neben den Klimaschäden sind die für Umweltschäden wie Luftverschmutzung und Ressourcennutzung. Die vom Klima unabhängigen externen Kosten sind bei fossilen Erzeugern am höchsten. Solar und Windkraft liegen im Mittelfeld. Kernkraft und Wasserkraft verursachen die niedrigsten externen Kosten.

Nur bei einer vollständigen Internalisierung der externen Kosten ist ein fairer Wettbewerb möglich. So lange es externe Kosten gibt, steigen die Kosten für das Gesamtsystem, die früher oder später bezahlt werden müssen.

Vollkosten bei vollständiger Berücksichtigung von Umweltschäden

Vollkosten nach Energiequelle inklusive externe Kosten 1 - Vollkosten pro kWh: Welche ist die günstigste Energiequelle 2022?

Externe Kosten für Umweltschäden und Gesundheitsschäden unterscheiden sich stark nach Erzeuger:

  • 37,8 €Cent/kWh Steinkohle
  • 9,2 €Cent/kWh Dachsolar
  • 9,1 €Cent/kWh Erdgas
  • 7,6 €Cent/kWh Solarpark
  • 3,8 €Cent/kWh Wind an Land
  • 3,7 €Cent/kWh Wind Offshore
  • 2,8 €Cent/kWh Kernkraft
  • 0,6 €Cent/kWh Wasserkraft

Die Relationen stammen aus einer Studie zu Umweltauswirkungen von Energiequellen der Vereinten Nationen über den Lebenszyklus13

Um auf Kosten in Euro zu kommen wurde von mir ein CO2-Preis von 195€ pro Tonne CO2 angenommen. Das sind laut Umweltbundesamt die gesellschaftlichen Kosten der Klimaerwärmung.14

Bitte genieße diese externen Kosten mit Vorsicht. Sie hängen vom gewählten CO2-Preis und anderen Unsicherheiten ab. Es geht um Größenordnungen, nicht um zig Stellen hinter dem Komma.

Wenn man diese externen Kosten auf den Strompreis aufschlagen würde, wäre die Kohleverbrennung weit jenseits der Wirtschaftlichkeit. Auch die Vollkosten von Erdgas, Windkraft und Photovoltaik sind sehr hoch. Biomasse und Braunkohle wurden leider nicht in der Studie betrachtet, sind aber vermutlich ebenso unbezahlbar.

Zugegeben, es ist leider äußerst unwahrscheinlich, dass in Zukunft alle Kosten nach dem Verursacherprinzip bezahlt werden. Deshalb wird dieses Szenario rein hypothetisch bleiben. Ein CO2-Preis von 200 Euro in den 2030ern würde mich hingegen nicht überraschen.

Was sind fixe & variable Kosten?

Fixe Kosten entstehen unabhängig davon wie viel Strom produziert wird. Es handelt sich um Kapitalkosten beim Bau, Rückbau und der Modernisierung eines Kraftwerks, inklusive der Finanzierung. Ebenso fix sind die Pacht, Gehälter von Mitarbeitern und Instandhaltungskosten.

Variable Kosten steigen, je mehr Elektrizität erzeugt wird. Dies sind also Kosten im täglichen Betrieb, insbesondere durch Brennstoffe und nutzungsbedingte Wartung.

Die Kosten klimaschädlicher fossiler Kraftwerke und Biomasse sind größtenteils Brennstoffkosten, also variable Kosten. Mit hohen variablen Kosten lohnt es sich nicht bei niedrigen Börsenpreisen Strom zu erzeugen.

Die Kosten klimafreundlicher Energiequellen Wind, Solar, Kernkraft, Geothermie und Wasserkraft sind größtenteils Kapitalkosten, also fixe Kosten. Diese Erzeuger können auch bei niedrigen Börsenpreisen einen Ertrag erwirtschaften.

Weil das Speichern von Strom unwirtschaftlich ist, lohnt es sich immer dann Strom zu erzeugen, wenn die Börsenpreise höher sind als die variablen Kosten. Das gilt sogar dann, wenn die Börsenpreise unter den Gesamtkosten inklusive Fixkosten liegen.

Das ist ähnlich wie im Tourismus. Ein Hotelzimmer kann nicht bis zum Folgetag “gespeichert” werden und sowohl Rezeption als auch Putzdienst müssens sowieso bezahlt werden. Bevor ein Zimmer über Nacht leer steht, lohnt es sich sogar das Zimmer zu verramschen, so lange der Zimmerpreis über den niedrigen variablen Kosten liegt (z.B. Putzmittel, Strom, Wasser, Wäsche, Abnutzung).

Die Fixkosten mit kurzfristigen Profiten nur zum Teil zu decken ist besser als sie gar nicht zu decken. Weil Kraftwerke nicht beliebig schnell hoch und runterfahren, kann es sogar lohnenswert sein Strom für kurze Zeit unter den variablen Kosten zu verkaufen, wenn sie die Verluste vorher oder nachher wiedergutmachen können.

Auf lange Sicht müssen die Fixkosten natürlich gedeckt werden um einen Bankrott zu vermeiden. Höhere Preise an einem anderen Tag können den Schnitt über die Gestehungskosten heben.

Je älter ein Kraftwerk, desto geringer ist der finanzielle Druck durch Fixkosten. Komplett abgeschriebene Kraftwerke müssen keine Kapitalkosten mehr bedienen. Den Unterschied sieht man sehr deutlich beim Kostenvergleich zwischen der Laufzeitverlängerung und dem deutlich teureren Neubau von Kernkraftwerken.

Was ist der Abzinsungsfaktor?

Der Abzinsfaktor steht quasi für Profite. Für ihr eingesetztes Geld und unternehmerisches Risiko wollen die Betreiber Rendite sehen.

Der Abzinsfaktor bezieht sich ausschließlich auf die Kapitalkosten, nicht auf laufende Kosten wie Systemkosten, Brennstoffkosten oder CO2-Preis.

Im LCOE-Calculator der IEA sieht man hohe Kostensteigerungen bei Erzeugern mit hohem Kapitalaufwand und niedrigen laufenden Kosten wie Wasserkraft, Windkraft, Kernkraft und Photovoltaik: 15

  • Wasserkraft
    3%->6%: 155%
    3%->9%: 220%
  • Kernkraft
    3%->6%: 141%
    3%->9%: 194%
  • Photovoltaik
    3%->6%: 126%
    3%->9%: 155%
  • Windkraft
    3%->6%: 123%
    3%->9%: 149%
  • Kohle
    3%->6%: 112%
    3%->9%: 127%
  • Erdgas
    3%->6%: 105%
    3%->9%: 110%

Der Abzinsfaktor betrifft also vor allem klimafreundliche Erzeuger. Die Gewinne der Betreiber machen bei Wind, Solar, Wasser und Kernkraft sogar den Löwenanteil der Kosten aus. Hier können Klimaschutzprogramme ansetzen um Profitgier zu drosseln und den volkswirtschaftlichen Nutzen zu erhöhen.

Ein niedriger realer Abzinsfaktor von 3% ist eigentlich nur durch staatliche Unterstützung möglich. Mit einer garantierten Einspeisevergütung wie nach dem deutschen EEG sind 3% zum Beispiel machbar. Ebenfalls möglich sind derart niedrige Discount Rates über das Finanzierungsmodell der Regulated Asset Base. Viele staatliche Klimaschutzprogramme machen 3% realen Abzinsfaktor für Energieinfrastruktur erreichbar.

Im Diagramm oben wird trotzdem ein konservativerer Abzinsfaktor von 5% verwendet. Die Fehlerbalken im Diagramm zeigen den Unterschied zu den Abzinsfaktoren 3% und 7%. An der Reihenfolge der Erzeuger ändert sich in diesem Bereich nichts.

Je niedriger die Gewinnspanne, desto höher allerdings die Lücke zwischen langlebiger Kernkraft und Wasserkraft und kurzlebiger Windkraft und Photovoltaik. Ein hoher Abzinsfaktor straft hingegen ausgerechnet Erzeuger mit langer Lebensdauer überproportional ab und läuft damit gegen nachhaltigen Klimaschutz.

Es gibt andere Studien zu Gestehungskosten, die höhere Abzinsfaktoren verwenden, über ein normales Profitmaß hinaus. Als Linker widerstrebt es mir enorm, erhöhte Rendite in Grundannahmen einzubauen. Ich betrachte deshalb nur normale Profitmargen mit und ohne staatliche Unterstpützung.

Bei einem hohen Abzinsfaktor von 10% wäre ein Kernkraftwerk nach 10 Jahren quasi nur noch die Hälfte wert. Nach rund 30 Jahren wäre es praktisch nichts mehr wert. Und das obwohl es auch nach 40, 50 und 60 Jahren immer noch so viel Strom erzeugt, wie am ersten Tag. Profitgier und nachhaltiger Klimaschutz schließen sich gegenseitig aus.

Historischer Kostenverfall von Photovoltaik

Historische Vollkosten nach Erzeuger in Deutschland 2005 2020 - Vollkosten pro kWh: Welche ist die günstigste Energiequelle 2022?

Die Kostensenkungen von Strom aus Photovoltaik zwischen 2005 und 2020 waren mit gut 80% Reduktion enorm. Diese Preisentwicklung von PV wurde allerdings 2020 beendet. 2022 sind die Kosten von Photovoltaik-Anlagen zurück auf den Stand von 2017 gestiegen.16.

Die Kosten für Windräder laufen schon länger auf einem Plateau und sind sogar auf den Stand von 2015 zurückgefallen.17 Der Ukrainekrieg hat die Preisanstiege durch Disruption von Lieferketten und Rohstoffknappheit noch verschärft.

Natürlich sind diese Kostenanstiege im zweistelligen Prozentbereich kein Vergleich zur immensen Brennstoff-Inflation bei Steinkohle, Erdgas und Erdöl im dreistelligen Prozentbereich.

Auch die Kosten von Uran sind gestiegen. Der eigentliche Brennstoff macht aber bei Kernkraftwerken nur einen Bruchteil der Kosten aus. Seit 2005 sind die Kosten von Kernkraftwerken um 44% gestiegen, insbesondere wegen der neuen Generation III+.

Die Kosten von Kernkraftwerken in Mitteleuropa sind immer im Flux gewesen, zwischen 4 und 6 Cents pro kWh. Mal sehen ob Fehler aus der Vergangenheit in den Zwanziger Jahren vermieden werden können, insbesondere bei der Planung.

Die 2015er Ausgabe der Projected Costs of Generating Electricity beinhaltet historische Preise bis zurück in das Jahr 1981. Bis 2005 wurden allerdings nur Kohle, Erdgas und Kernkraft berücksichtigt. 18 Ich habe die Zahlen für 2020 aus der aktuellen Ausgabe ergänzt und inflationsbereinigt.

Was sind Wärmegestehungskosten?

Die Wärmegestehungskosten für die Erzeugung von Prozesswärme oder Fernwärme in Kraftwerken sind niedriger als die Stromgestehungskosten. Das liegt daran, dass thermische Kraftwerke keine Elektrizität erzeugen, sondern Wärme.

Die Umwandlung von Wärme in Strom geschieht dann unter Verlusten. Die Wirkungsgrade bei modernen Kraftwerken sind ungefähr so:

  • ~40% Kernkraft, Kohle, Gas, Biomasse
  • ~60% Gas-und-Dampf-Kraftwerk

Das heißt umgekehrt, dass thermische Kraftwerke bei der Wärmeerzeugung deutlich effizienter und damit günstiger sind. Die Wärmegestehungskosten liegen bei gut einem Drittel der Stromgestehungskosten.

Die niedrigen Wärmegestehungskosten nutzt man bei der Kraft-Wärme-Kopplung. KWK-Kraftwerke mit angekoppelter Fernwärme oder Prozesswärme können ihre Gestehungskosten deshalb deutlich senken. Das Problem mit KWK und Fernwärme ist der extrem saisonale Bedarf. Zumindest Prozesswärme wird das ganze Jahr gebraucht.

Welche ist die günstigste Energiequelle?

Die günstigste Art Strom zu erzeugen ist die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken im Alter von 40 Jahren.

Umso tragischer ist es, dass wir unsere klimafreundlichen Kernkraftwerke nach nur 40 Jahren Laufzeit abschalten wollen. Noch ist es nicht zu spät für eine Laufzeitverlängerung der letzten 6 Kernkraftwerke.

Updates:

  • 2.1.2021: Erstmals veröffentlicht.
  • 20.09.2021: Verdopplung von CO2-Preis, Gaspreis und Kohlepreis eingepflegt.
  • 25.10.2021: Absätze & Diagramme zu historischen Kosten und Kostenprognose hinzugefügt.
  • 6.12.2021: Externe Umweltkosten aus der UNECE-Studie eingepflegt.
  • 30.05.2022: Brennstoffkosten infolge des Ukrainekriegs aktualisiert. Systemkosten anhand neuerer Zahlen aktualisiert.

Quellen

  1. EEX EUA Future Ember (2022)
  2. Dutch TTF Natural Gas Futures Trading View (2022)
  3. Rotterdam Coal FuturesTradingview(2022)
  4. Projected Costs of Generating Electricity IEA (2020)
  5. Mittelwert der Kosten von IEA (2020) aus den mitteleuropäischen Ländern Deutschland, Österreich, Schweiz, Dänemark, Belgien, Frankreich und Niederlande. Die Brennstoffkosten von Steinkohle und Erdgas wurden gegenüber den Studienwerten verfünffacht entsprechend aktuellen Marktpreisen im Vergleich zu 2020. Wegen Datenmangel wird bei Steinkohle und Braunkohle der globale Mittelwert verwendet und bei Biomasse der Mittelwert aus Italien.
  6. The Full Costs of Electricity Provision OECD (2018)
  7. System LCOE: What are the costs of variable renewables? Ueckerdt et al (2013)
  8. Optioneering analysis for connecting Dogger Bank offshore wind farms to the GB electricity network Nieradzinska et al (2016)
  9. Levelised Cost of Value-Adjusted LCOE IEA (2019)
  10. Levelized Avoided Cost of Electricity (LACE) EIA (2018)
  11. Carbon pricing Ember (2022)
  12. Why the social cost of carbon will always be disputed Pezzey (2018)
  13. Life Cycle Assessment of Electricity Generation Options UNECE (2021)
  14. Methodenkonvention 3.1 zur Ermittlung von Umweltkosten Umweltbundesamt (2020)
  15. Levelised Cost of Electricity Calculator IEA (2020)
  16. Higher PV module prices may point to stable demand and more sustainable pricing trends PV Magazine (2022)
  17. Wind Power’s ‘Colossal Market Failure’ Money Market Advisor (2022)
  18. Projected Costs of Generating Electricity – 2015 Edition IEA (2015)