Postwachstum: Hilft Degrowth dem Klima?

Degrowth wird gerne als Lösung für die Klimakrise diskutiert. Aber hilft eine Postwachstumsgesellschaft überhaupt?

Egal welches Problem: Klimakrise, Energiekrise oder Krieg – Degrowth und Postwachstum sollen helfen.

Selbst Fridays for Future setzen gefühlt mehr auf Degrowth als auf Klimaschutzmaßnahmen.

Kann ein Schrumpfen der Wirtschaft mehr Probleme lösen als dadurch entstehen?

Ist schon heute mehr als genug Wohlstand vorhanden für in Zukunft 10 Milliarden Menschen?

Lässt sich mit einer so unpopulären Idee jemals eine gesellschaftliche Akzeptanz erreichen?

Ulrike Herrmanns Buch “Das Ende des Kapitalismus”

In Deutschland befeuerte Ulrike Herrmanns Buch “Das Ende des Kapitalismus”* die schon lebhafte Diskussion über Degrowth. Das Buch ist auch ein guter Einstieg in die Idee des Degrowths.

Kapitalismuskritik ist einfach, aber wenn es um Alternativen geht, folgt meistens Schweigen. Anders als viele andere Postwachstums-Ideen, sind die von Herrmann halbwegs konkret.

Herrmann bezieht sich insbesondere auf die britische Kriegswirtschaft im 2. Weltkrieg. Die damalige Rationierung soll ein Modell sein für die Postwachstumsgesellschaft.

Ich werde mich in großen Teilen dieses Artikels auf Herrmann beziehen. Meine ökomoderne Kritik an Herrmann sollte sich aber auf viele andere Postwachstumsideen übertragen lassen.

Wenn nicht, dann gerne Feedback!

Herrmanns Diagnose: Wind & Solar reichen nicht

Zunächst einmal Ulrike Herrmanns Diagnose:

“Ökoenergie wird knapp und teuer bleiben”

Mit Ökoenergie meint sie hauptsächlich Wind und Solar. Für Wasserkraft und Geothermie hat Deutschland zu schlechte Standortfaktoren.

Diese Diagnose ist keine Überraschung für Leser dieses Blogs oder Kenner der Energiewirtschaft. Deutschland hat nicht genug Ausbaupotential bei Wind und Solar, um seinen aktuellen Verbrauch damit zu decken. Alle Top-5-Energiewende-Studien bestätigen das fehlende EE-Potential mit Import-Anteilen zwischen 30% und 60% (je nach Szenario) für ein 100%-System.

Schon die Speicher sorgen dafür, dass Erneuerbare immer teuer sein werden. Und global stößt der materialintensive Ausbau von Wind und Solar schnell an Ressourcengrenzen.

Es gibt in sozialen Netzwerken trotzdem viele Leute, die behaupten Klimaschutz wäre ganz einfach. Das ist sogar eines der 3 KO-Kriterien bei meinen Klimabuch-Rezensionen. Rund ein Viertel der Klimabücher fällt durch den “Ist so easy”-Test.

Herrmanns Annahme: Technologieverzicht

Nun gibt es mehrere technologische Lösungen zum Ergänzen von Wind und Solar:

  1. Kernenergie
  2. Energieeffizienz
  3. Carbon Capture (CCS)
  4. Wasserstoffwirtschaft (v.a. Importe)

Laut Herrmann funktionieren machen diese Maßnahmen aber keinen Unterschied. Das ist eine ziemlich überraschende Behauptung. Herrmann weiß das offenbar und geht deshalb auf jede der oben genannten technologischen Lösungen einzeln ein.

Die Begründungen, warum die Technologien nichts taugen, sind mal mehr (CCS), mal weniger (Wasserstoffwirtschaft) überzeugend. Bei der Energieeffizienz und Kernkraft fehlen stichhaltige Argumente.

Herrmanns Therapie: Schrumpfen als Ausweg

Wenn technologische Lösungen kategorisch ausgeschlossen werden, bleibt nur noch die Energie-Suffizienz übrig: Wir müssen weniger Energie verbrauchen. Das läuft auf ein Schrumpfen der Wirtschaft hinaus.

Herrmann macht daraus keinen Hehl, sondern schreibt sich “grünes Schrumpfen” sogar auf die Fahne. Sie will zurück zur wirtschaftlichen Aktivität Deutschlands im Jahr 1978. Damals war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) rund halb so hoch wie heute.

Allerdings sollen Errungenschaften wie das Smartphone oder medizinische Entwicklung erhalten bleiben. Wenn ich das richtig verstehe, muss der Rest der Wirtschaft also noch deutlich mehr als 50% schrumpfen um den technologischen Fortschritt überzukompensieren.

Insbesondere wird es keine Flüge oder Kreuzfahrten mehr geben und kaum noch Autos. Der Fleischverzehr muss deutlich zurückgefahren werden und keine neuen Wohnungen mehr gebaut werden. Bisheriger Wohnraum wird besser aufgeteilt.

Herrmanns Fehlannahmen: Kritik an der Wachstumskritik

Herrmanns Diagnose ist wichtig und richtig. Weder ist der Klimaschutz einfach noch günstig. Das Potential von Wind und Solar ist in einem wind- und sonnenarmen Land wie Deutschland sehr begrenzt.

Ihre Therapie kann ich aber nicht mitgehen. Die Erzählung des unbedingt nötigen Schrumpfens basiert auf zu vielen ungerechtfertigten Annahmen:

  1. Der Wohlstand der Welt reicht bereits heute aus
  2. Vorhandene Technologien bringen nichts
  3. Das Ende des Wachstums kann herbeigeführt werden

Allen drei Annahmen muss ich vehement widersprechen:

1. Degrowth Kritik: Der Wohlstand der Welt reicht nicht

Fast immer, wenn Degrowther über das Schrumpfen der Wirtschaft sprechen, haben sie dabei nur Industrieländer im Blick. Auch Herrmann redet ausschließlich davon Deutschland um 50% schrumpfen lassen. Das BIP müsste bei uns von rund 50.000 USD pro Kopf auf rund 25.000 USD pro Kopf fallen.

Die meisten Länder liegen aber unter einem BIP von 25.000 USD pro Kopf, teilweise sehr weit darunter. Die Länder, die noch zum 25.000-USD-Standard aufholen, müssen im Schnitt um fast den Faktor 3 wachsen.12

Der globale Süden würde durch dieses Wachstum das Schrumpfen in reichen Ländern überkompensieren. Die Weltwirtschaftsleistung müsste insgesamt auf das Doppelte wachsen, um im Schnitt auf ein BIP von 25.000 USD zu kommen. Wir hätten mit Herrmanns Ansatz also ein global ungebrochenes Wirtschaftswachstum.

Um Wachstum völlig auszuschließen, müsste sich die ganze Welt auf den heutigen globalen Durchschnitt von 12.000 USD BIP pro Kopf einigen. Das wäre also halb so viel, wie Herrmann vorschlägt und würde uns zurück ins Jahr 1960 katapultieren, vor einem Großteil der Wirtschaftswunderjahre. Wenn die Weltwirtschaft signifikant schrumpfen soll, reden wir sogar von einer wirtschaftlichen Rückkehr ins Nachkriegsdeutschland.

Es ist heute noch nicht genug materieller Wohlstand vorhanden um ihn auf 8 und bald 10 Milliarden Menschen zu verteilen. Wir müssen unbedingt die nächsten Jahrzehnte wachsen oder akzeptieren, dass ein Großteil der Menschheit weiter in Armut lebt. Um allen Menschen ein Leben ohne Armut zu ermöglichen, müsste die Weltwirtschaft sogar um den Faktor 7,2 wachsen, wie Max Roser ausgerechnet hat.3

2.a) Degrowth Kritik: Energie ist entkoppelt von Wirtschaft

Herrmann meint, wir sollten keine Hoffung darauf verschwenden, den Energieverbrauch durch steigende Energieeffizienz zu senken. Sie verweist insbesondere auf den Rebound-Effekt, nach dem steigende Effizienz den Verbrauch noch erhöhen soll.

Aber bereits heute steigt in Industrieländern die Energieeffizienz schneller als der Rebound-Effekt wirken kann. In OECD-Staaten ist der Energieverbrauch seit 2000 auf einem Plateau. Seit 2010 sinkt er sogar.

Und das passiert, obwohl die Wirtschaft weiter wächst. Seit 2010 wuchs das BIP der OECD-Mitglieder um durchschnittlich 2,5% pro Jahr. Es wird also mehr wirtschaftliche Aktivität mit weniger Energie erreicht. Man spricht von einer Entkopplung.

Die Wirtschaft lässt sich nicht nur vom Energieverbrauch entkoppeln. Noch viel deutlicher gelingt das bei den CO2-Emissionen. Ein weiteres Ziel ist es mehr Produkte mit weniger Rohstoffen herzustellen. Auch das passiert seit Jahrzehnten und wird im Kapitalismus belohnt.

2.b) Degrowth Kritik: Kernenergie ergänzt Ökoenergie

Eigentlich sollte Herrmann eine große Freundin der Kernenergie sein, nachdem sie erkannt hat, dass Wind und Solar nicht ausreichen. Leider liest sich das Kernkraft-Kapitel in ihrem Buch wie ein Flyer von Ausgestrahlt:

  • Kernkraft wird immer kostspieliger
  • Rückbau und Endlagerung nicht eingepreist
  • 176 Mrd. Euro für die Endlagerung
  • Kernkraftwerke sind unversichert
  • Uranvorkommen reichen nicht
  • Unfall in Deutschland kostet 6 Billionen Euro
  • 15.000 neue Reaktoren wären nötig
  • 13 Jahre Bauzeit pro Reaktor
  • “Atomkraft ist gefährlich”
  • “Gibt kein Endlager”
  • “Verluste in Milliardenhöhe”

Man muss nicht viel Recherche betreiben, um die meisten dieser Mythen zu entkräften. Alleine mein Artikel Fact Check: 18 Kernkraft-Mythen von Harald Lesch sollte fast alle davon aufklären mit vielen tiefgehenden Quellen.

Beim Thema Kernkraft ist Herrmanns Buch in kurzer Zeit sehr schlecht gealtert. Als sie das Manuskript im Jahr 2021 geschrieben hat, konnte man mit billiger Anti-Atom-Propaganda noch viele Menschen überzeugen. Das hat sich infolge des Ukrainekriegs und 8 Monaten mit Habecks Lügen rapide geändert.

Besonders wütend macht mich zum Beispiel diese leicht überprüfbare Falschaussage aus dem Buch:

“Die Finnen haben sich verabschiedet und wollen keine neuen Reaktoren mehr bauen”

Damit ist vermutlich der abgesagte Reaktorneubau Hanhikivi durch den russischen Anbieter Rosatom gemeint. Das war aber eine Folge des russischen Einfalls in der Ukraine. Grundsätzliche Bedenken gegenüber der Kernkraft haben die Finnen nicht – ganz im Gegenteil. Das ist so einfach herauszufinden, dass eine TAZ-Journalistin das zweifellos richtig wiedergeben könnte, wenn sie denn wollte.

Tatsächlich sind in Finnland sogar die Grünen für Atomkraft und zwar ganz offiziell im Parteiprogramm. Auch der Wirtschaftsminister hat sich erst im Juni zur Kernkraft bekannt. Die Finnen freuen sich ab 2023 über den billigen und klimafreundlichen Strom aus dem neuen EPR in Olkiluoto und schütteln den Kopf über unseren Atomausstieg und unsere “Endlagersuche”.

Offensichtlich hat Ulrike Herrmann das Thema Atomkraft nicht objektiv behandelt. Sie scheint tiefsitzende Vorurteile gegen diese und andere Technologien zu haben.

3. Degrowth Kritik: Wer will eine Kriegswirtschaft?

Erreichen will Herrmann das wirtschaftliche Schrumpfen über eine Rationierung, wie in der britischen Kriegswirtschaft. Großbritannien wurde vom 2. Weltkrieg unvorbereitet überrascht und musste schnell die Rüstungsproduktion ankurbeln. Die zivile Wirtschaft wurde auf die Hälfte zurückgefahren.

Die nun knappen Nahrungsmittel und Ressourcen wurden an jeden britischen Bürger in gleicher Menge zugeteilt. Es gab Mengen- und Preiskontrollen und der Staat bestimmte, was produziert wird. Weil viele arme Menschen im Königreich nun sogar mehr erhielten als vor dem Krieg, war die Kriegswirtschaft beliebt und hielt sich sogar noch einige Jahre nach Kriegsende.

Ob eine solche Kriegswirtschaft heute immer noch beliebt wäre, wage ich zu bezweifeln:

  1. wäre die Rationierung kein Zugewinn, sondern bedeutet für fast alle Deutsche Verzicht auf Liebgewonnenes
  2. ist die Klimakrise bei weitem kein so einender Faktor, wie der verhasste Aggressor Hitler es war
  3. wären die Maßnahmen nicht vorübergehend, sondern müssten auf unbegrenzte Dauer durchgehalten werden

Die Deutschen von den Vorzügen einer immerwährenden Kriegswirtschaft überzeugen zu wollen, klingt weit hergeholt. Immerhin gibt Herrmann die fehlende Attraktivität ihrer schrumpfenden Wirtschaft in Interviews auch selbst zu.

Sie verweist dann auf die Dringlichkeit der Klimakrise, die einen solchen Umbau früher oder später zum Selbstläufer macht. Die Begründung, warum Klimafolgen im Jahr 2100 uns heute zum Handeln zwingen sollen, bleibt sie leider schuldig.

Fazit: Ist Wachstumskritik zwingend technologiefeindlich?

Letztendlich ist “Das Ende des Kapitalismus” ein Science-Fiction-Buch von einer Welt, in der wir keine Kernkraft erfunden haben und in der wir auch keine anderen Technologien nutzen wollen außer Wind und Solar. Die Schlussfolgerungen sind dann zwar schlüssig, aber aus Falschem folgt Beliebiges.

Herrmanns Ablehnung des Wachstums kann nur Ernst nehmen, wer die Technologiefeindlichkeit mitgeht. Allein durch einen signifikanten Ausbau der Kernkraft würde Herrmanns Ende des Kapitalismus ausfallen. Eine ernstzunehmende Technikfolgenabschätzung berücksichtigt auch die Folgen des Nichteinsatz von Technologien.

Herrmann erkennt eine klimafreundliche Technologie leider nicht einmal dann, wenn sie über sie schreibt. Statt klimafreundlicher intensiver Landwirtschaft, fordert sie eine extensive und verschwenderische Ökolandwirtschaft. Sie gibt sogar im Buch selbst zu, dass Ökolandwirtschaft weniger Ertrag liefert! (Kapitel 19)

Ich weiß nicht, was Herrmann von Präzisionsfermentation oder Gentechnik hält. Vermutlich würde sie auch gegen diese Klimaschutztechnologien Gründe finden.

Zwischen Ökoromantik, Antiatomkraft und weiteren altgrünen Narrativen bleibt leider kein Platz für pragmatischen Klimaschutz.

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Quellen

  1. GDP World Bank (2022)
  2. Population total World Bank (2022)
  3. How much economic growth is necessary to reduce global poverty substantially? Our World in Data (2021)

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