Untersuchungsausschuss Atomausstieg: Warum die letzten 6 AKW abgeschaltet wurden

Eine Laufzeitverlängerung der 6 deutschen Kernkraftwerke hätte 2022 rund ein Viertel der russischen Gasimporte ersetzen können. Warum wurden sie abgeschaltet?

Ende Februar 2022 versprach Wirtschaftsminister Habeck Laufzeitverlängerungen der letzten 6 AKW prüfen zu lassen, um russisches Gas zu ersetzen.

Aus Sicht der Experten war auch Ende 2022 noch die Verlängerung aller 6 Kernkraftwerke technisch, gesetzlich, personell und wirtschaftlich möglich.

Die 6 Kernkraftwerke hätten einen Großteil der Gasverstromung ersetzen können, als auf dem Höhepunkt der Energiekrise Erdgas knapp und teuer war.

Bis heute könnten die letzten 6 AKW am Netz sein und durch günstigen und klimafreundlichen Strom die deutschen Strompreise und CO2-Emissionen senken.

Warum haben sich die grün geführten Ministerien für Wirtschaft und Umwelt 2022 trotzdem gegen einen Weiterbetrieb entschieden?

Die Antwort auf diese Frage suchte der Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg.

Fazit des Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg

2. Exkurs: Daniel Gräber untersucht wie ideologisch in Deutschland Energiepolitik gemacht wird (2025)

Akte Atomausstieg: Das Ende der Kernkraft und das Scheitern der Energiewende*

Deutschland ist in einem internationalen Alleingang aus der klimafreundlichen Atomkraft ausgestiegen, trotz Klimakrise. Die letzten 6 AKW wurden mitten in der Energiekrise abgeschaltet. Wie konnte es dazu kommen?

Daniel Gräber bereitet in dem Buch die Ergebnisse des Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg aus dem Jahr 2025 auf. Der Ausschuss untersuchte, warum Anfang 2022, auf dem Höhepuinkt der energiekrise, die letzten 6 deutschen AKW nicht um Jahre oder gar Jahrzehnte nicht laufzeitverlängert wurden.

Gräber arbeitet minutiös die Ereignisse nach der Großinvasion der Ukraine in 2022 auf in den grün geführten Ministerien für Wirtschaft und Umwelt. Die von Wirtschaftsminister Habeck versprochene “ergebnisoffene Prüfung” fand demnach nie statt. Dass die AKW abgeschaltet bleiben würden, war immer als Ziel vorgegeben.

Auch auf die damals vorgeschobenen Sachargumente geht Gräber ein. Die meisten davon lösten sich mit dem Kanzlermachtwort in Wohlgefallen auf. Aber selbst die Ausübung der Richtlinienkompetenz könnte reines Taktieren gewesen sein.

Habecks 180-Grad-Wende im Juni 2024

Die Abschaltung der letzten 6 AKW mitten in der Energiekrise ist auch im Juni 2024 immer noch politisches Thema. Gut so, das ist nämlich ein Skandal.

Jetzt soll es von der Union einen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Abschaltung geben. Es soll geprüft werden, ob eine Laufzeitverlängerung möglich gewesen wäre, obwohl Wirtschaftsministerium und Umweltministerium entschieden das Gegenteil behaupteten.

Mit den Konsequenzen seines Handelns konfrontiert, vollführte Habeck am 6.6.2024 eine 180-Grad-Wende. In der Talkshow “Maybrit Illner: Habeck gegen Merz” sagte er nun überraschenderweise:

“Natürlich wäre über das Jahr 23 hinaus ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, mit neuen Genehmigungen und neuen Brennelementen, über 5 oder 10 oder 15 Jahre immer möglich gewesen.”

Zur Erinnerung: Vor dem 6.6.2024 wiederholte Habeck bei jeder Gelegenheit, dass eine Laufzeitverlängerung technisch vollkommen ausgeschlossen war.

Eine Entschuldigung für mehr als 2 Jahre Falschaussagen von den grünen Ministerien gab es von Habeck nicht. Stattdessen fabrizierte er in der Talk-Show ein “Missverständnis auf Seiten der Union”.

Post Mortem im April 2024

Die freigeklagte Akteneinsicht zur Abschaltung der 6 letzten deutschen AKW in der Energiekrise zeigt, dass Wirtschaftsminister Habeck von seinen eigenen Beamten getäuscht wurde.

Robert Habeck war beim Atomausstieg wirklich so ahnungslos, wie er in den Interviews in den Jahren 2022 und 2023 wirkte. Nun gut, das ist immerhin besser als die Alternative: absichtliche Falschaussagen und Lügen.

In der besten aller Welten wird dieses komplette Versagen der beiden grünen Ministerien nun aufgearbeitet und der Rückbau der 5 jetzt noch rettbaren AKW wird sofort gestoppt. Leider leben wir nicht in der besten aller Welten.

Aber auch in unserer Welt, sollte sich Habeck 2 Jahre später mal zu dem von ihm verkorksten Atomausstieg informieren. Zum Jahrestag des Atomausstiegs hat er wieder einige der gleichen Falschaussagen von 2022 verbreitet.

6 Einwände gegen das Ersetzen von russischem Gas durch AKW

Warum entscheidet die Politik nicht endlich eine Laufzeitverlängerung? Ein Auftritt von Habeck im ZDF bei Markus Lanz offenbart tiefe Wissenslücken des Wirtschaftsministers.

Nicht nur Habeck bringt immer wieder die gleichen Einwände gegen eine Substitution von russischem Erdgas durch deutsche Kernkraftwerke. Diese Einwände sind größtenteils substanzlos. Der 5. Einwand ist berechtigt, aber betrifft nur einen Teil der Gasverstromung.

Update Oktober 2022
Nach einer Akteneinsicht in 166 Dokumente der grünen Ministerien durch die WELT haben wir es schwarz auf weiß:
Wirtschaftsminister Habeck und das BMWI sowie Umweltministerin Lemke und das BMUV haben von Anfang an gelogen.

Leider hinter Paywall, hier ist eine Zusammenfassung auf Twitter.

Und hier ist die Recherche der WELT aufgegriffen in anderen Medien:

Weil das BMWK anders als das BMUV keine Akteneinsicht gewährt hat, wurden sie nun von Cicero verklagt. Mal schauen, wie lange der Streisand-Effekt auf sich warten lässt.

Hier die 6 häufigsten Einwände, die 2022 gegen eine Laufzeitverlängerung vorgebracht wurden:

1. Einwand: Im Stromsektor lässt sich kein Erdgas sparen

Habeck äußerte diese Behauptung bei Markus Lanz im ZDF:

“Weil es ja bei Atomkraftwerken […] um Strom geht. Wir haben aber bei Gas und bei Öl gar kein Stromproblem, sondern ein Mobilitätsproblem und bei Gas eben ein industrielles und ein Heizproblem.”

Stimmt, ein Großteil unseres Gases setzen wir in Wärme und industrielle Prozesswärme um. Aber wir verstromen auch rund 197 TWhth Erdgas. 1 Das ist etwa ein Drittel der Menge, die wir aus Russland importieren. 2 (Beide Zahlen für 2020)

Es ist ein Nobrainer das knappe Erdgas nicht mehr in Gaskraftwerken zur Stromerzeugung zu verbrennen. Von den 197 TWh können wir bilanziell etwa zwei Drittel durch die 6 Kernkraftwerke ersetzen und den Rest durch Kohlekraftwerke.3

Ich schreibe bilanziell, weil wegen der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) nicht das gesamte Potential ausgeschöpft werden kann. Mehr dazu beim 5. Einwand im Abschnitt zu KWK.

Update Juni 2022
Mittlerweile macht die Gasverstromung einen noch höheren Anteil an russischen Gasimporten aus:

  • Die Gasverstromung in 2022 ist wider Erwarten auf Rekordwerten.4
  • Es wird immer mehr russisches Gas gedrosselt – von Russland wohlgemerkt, nicht von uns. 5

Die letzten offiziellen Zahlen auf die meine obige Berechnung fusst stammen von vor der Energiekrise. Stand Juli 2022 sind die russischen Gasimporte deutlich gefallen und der Anteil den die Kernkraft ersetzen könnte wäre entsprechend größer.

2. Einwand: Für den Winter 2022/2023 fehlen Brennstäbe

Habeck wiederholte bei Markus Lanz diese Falschbehauptung, obwohl sie bereits im März, kurz nach Erscheinen des Prüfvermerks widerlegt wurde:

“Man streckt die Atomkraftwerke über den nächsten Winter. Dann muss man sie im Sommer runterfahren / im Streckbetrieb fahren, weil die Brennelemente sonst bis Jahresende ausgebrannt sind.”

Das haben Habeck und seine Berater grundlegend falsch verstanden. Im Streckbetrieb können die Brennstäbe über ihre Auslegungsdauer hinaus zusätzliche Strommengen erzeugen.

Das ist deshalb möglich, weil bei einem Brennstoffwechsel in einem Konvoi-Reaktor nur ein Viertel der Brennelemente ersetzt werden. Drei Viertel des Brennstoffs bleibt sowieso im Kern. Und selbst das “ausgebrannte” Viertel hat noch Reserven.

Ein Präzedenzfall dafür ist das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld in meiner Heimat Unterfranken. Für das Abschaltjahr 2015 wurden keine neuen Brennstäbe bestellt, wegen der später verfassungswidrig eingestuften Brennelementesteuer.

Sechs Monate lang lief Grafenrheinfeld also mit den alten Brennstäben: 67

  • 1. Januar: Erster Streckbetrieb auf voller Leistung
  • 2. Februar: Leistung fällt langsam von 1250 MW auf 1000 MW
  • 7. März: Revision um Brennelemente zu einem “Notkern” neu zusammenzusetzen
  • 26. März: Zweiter Streckbetrieb mit Notkern auf voller Leistung
  • 18. April: Leistung fällt langsam von 1250 MW auf 600 MW
  • 27. Juni: Endgültige Abschaltung des AKW Grafenrheinfeld

Über diese 6 Monate holte Grafenrheinfeld aus den alten Brennstäben im Mittel 76% der Maximalleistung – inklusive dreiwöchiger Revision. Mit 6 Kernkraftwerken im Streckbetrieb können die Revisionen gestaffelt werden.

Mehr Infos zum Streckbetrieb in diesem Twitter-Thread. oder hier bei der Gesellschaft für Reaktorsicherheit.

Laut Aussage von Westinghouse in Schweden dauert es rund 6 Monate, bis neue Brennstäbe für die Konvoi-Reaktoren geliefert werden können. Wir könnten also theoretisch selbst am 31.12.2022 noch einen unterbrechungsfreien Betrieb für die 3 noch laufenden AKW gewährleisten.

Auch 5 Monate (!) später haben die Medien noch nicht verstanden, was der Unterschied zwischen Streckbetrieb (Ausnutzung von Reserven) und Teillastbetrieb (Spare im Sommer, verlängere im Winter) ist:

  • Deutschlandfunk: “Ein Streckbetrieb führe nur zu einer Verlagerung der Stromproduktion, nicht aber zu zusätzlichen Strommengen.”
  • Tagesschau: “Die Stromproduktion müsste jetzt schon gesenkt werden, damit der Brennstoff länger reicht.”
  • BILD: Streckbetrieb: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not

Ist das noch Inkompetenz oder ist das Absicht?

3. Einwand: Es fehlen Sicherheitsprüfungen bei deutschen AKW

Auch dies eine Behauptung von Habeck bei Lanz im ZDF:

“Dazu müssten wir sie aber nochmal tief durchprüfen, denn das sind sie seit 13 Jahren nicht getan worden.”

Die periodischen Sicherheitsanalysen (PSA) wurden in den letzten 13 Jahren ganz normal im Rahmen der jährlichen Revision durchgeführt. Es ist also keinesfalls so, dass die AKW seit 13 Jahren nicht geprüft wurden.

Was Habeck mit den 13 Jahren meint, ist die periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ). Diese Analyse findet normal alle zehn Jahre statt. Hier wird der grundsätzliche Stand der Technologie evaluiert um zu sehen ob die deutschen Kernkraftwerke alle international gängigen Sicherheitsauslegungen haben.

Die PSÜ wurde für Brokdorf und Gundremmingen C bereits durchgeführt. Es gab dabei keine nennenswerten Defizite laut Kerntechnik Deutschland. Kein Wunder, denn seit der letzten PSÜ aller 6 Kraftwerke im Jahr 2009 wurden im Jahr 2014 bereits Nachrüstungen infolge der Fukushima Stresstests vorgenommen.

Bei einer Laufzeitverlängerung müssten die PSÜs für Grohnde, Isar, Emsland und Neckarwestheim baldmöglichst gemacht werden. Das passiert betriebsbegleitend, also während dem Leistungsbetrieb und während der jährlichen Revisionen. Eine Pausierung ist nicht nötig.

Dass dies möglich ist bestätigt der TÜV Verband. Genauso wie in Brokdorf und Gundremmingen C sind keine signifikanten Maßnahmen zu erwarten laut Kerntechnik Deutschland.

4. Einwand: Kernkraftwerke sind nicht flexibel genug um Gas zu ersetzen

Diese Behauptung stammt nicht von Habeck oder den beiden Ministerien. Man hört besonders in den sozialen Medien oft eine Variante dieses Einwands:

“Kernkraftwerke können als unflexible Grundlastkraftwerke keine Lastfolge fahren und sind daher nicht in der Lage Gaskraftwerke zu ersetzen.”

Die Prämisse ist falsch. Deutsche Kernkraftwerke können schneller Lastfolge fahren als moderne GUD-Kraftwerke.8 Und 28 GW von unseren 32 GW Gaskraftwerken sind GuD-Kraftwerke. Die restlichen 4 GW sind hauptsächlich in der Netzreserve und fast nie in Betrieb.

Warum fahren Kernkraftwerke keine Lastfolge? Es gibt einfach keinen Grund ein Kernkraftwerk zu drosseln. AKW sind im Betrieb CO2-neutral und brauchen sehr wenig Brennstoff. Sie altern außerdem schneller im Lastfolge-Betrieb. Kernkraftwerke ersetzen GuD-Kraftwerke am besten, indem sie durchlaufen wie bisher. Die planbaren Lücken können Kohlekraftwerke füllen und für die unplanbaren Lücken brauchen wir geringe Mengen Gas.

Die 4 GW offene Gasturbinen können Kernkraftwerke nämlich tatsächlich nicht ersetzen. Kein anderes Kraftwerk kann das. Das muss aber auch nicht sein. Diese super schnell regelbaren Kraftwerke mit schlechtem Wirkungsgrad sind größtenteils in der Netzreserve und kommen nur in Ausnahmesituationen zum Einsatz.

Irsching Block 3 ist ein Beispiel für so ein Gaskraftwerk ohne Dampfturbine in der Netzreserve. Es kommt laut den blockscharfen Daten von Energy-Charts auf 0,3% Auslastung (Gesamtjahr 2020).9 Irsching 3 kann übrigens auch mit leichtem Heizöl, statt mit Erdgas betrieben werden.

5. Einwand: AKW können KWK-Gaskraftwerke nicht ersetzen

Eine weitere in sozialen Medien häufige Entgegnung lautet wie folgt:

“Drei Viertel der Gaskraftwerke können Fernwärme per Kraft-Wärme-Kopplung bereitstellen. Kernkraftwerke können das nicht.”

Stimmt, nur etwa 43 TWhel sind ungekoppelt10, also etwa die Hälfte der Gasverstrommung.

Aber ein Ein KWK-Kraftwerk kann Fernwärme auskoppeln, auch ohne mit Maximalleistung Strom zu erzeugen. So können die letzten 6 deutschen Kernkraftwerke auch ohne Fernwärmeanschluss die Stromerzeugung der KWK-Kraftwerke übernehmen.

Das Heizkraftwerk Marzahn versorgt meine Wohnung mit Wärme. Es ist ein Neubau von 2020 und speist flexibel zwischen 50 MW und 250 MW elektrisch ein.11 Fernwärme wird auch auf Teillast ausgekoppelt. Mein Kraftwerk ist außerdem nur eins von insgesamt 11 im Berliner Fernwärmenetz. Die Hälfte davon läuft mit Erdgas.

Dass sich mehrere Kraftwerke oder Kraftwerksblöcke ein Fernwärmenetz teilen ist normal. Insbesondere außerhalb der Heizsaison müssen nicht alle davon gleichzeitig laufen. Wenn die Regierung an einer Reduzierung der Heiztemperatur festhält, wird nicht einmal in der Heizsaison die maximale Wärmeleistung benötigt. Es kann also auch die elektrische Erzeugung gedrosselt werden.

Die Stromproduktion in einem KWK-Kraftwerk kann sogar auf Null gefahren werden, wenn es eine Reduzierstation hat. Auch ohne Reduzierstation kann zum Beispiel das Küstenkraftwerk Kiel die Stromerzeugung auf Null fahren, dank Wärmespeicher und Power-to-Heat. Mehrere deutsche Kraftwerke haben PtH als Zusatz/Alternative.

Dazu kommt noch, dass 3 Kernkraftwerke gerade noch aktiv sind und die anderen 3 bis Dezember 2021 aktiv waren. Für diese Kraftwerke gibt und gab es immer genug zu tun. Kein Wunder, wir haben im deutschen Netz rund 40 GW Grundlast. Die wird 24/7 nachgefragt, egal ob die Sonne scheint oder der Wind weht.

Im europäischen Verbundnetz ist die Grundlast noch deutlich größer und auch unsere Nachbarn wollen von russischem Ergas, Erdöl und Kohle loskommen. Das Anschalten von 8,2 GW Kernkraftwerken ist eine in Europa einmalige Gelegenheit, keine rein national deutsche Maßnahme.

Der Einwand mit der Kraft-Wärme-Kopplung ist berechtigt. Aber wir schütten das Kind mit dem Badewasser aus, wenn wir die Hälfte der Gasverstromung als nicht ersetzbar aufgeben. Ein Großteil der elektrischen Erzeugung dieser KWK-Kraftwerke lässt sich drosseln und durch Kernkraft ersetzen.

6. Einwand: Uran oder Brennstäbe kommen aus Russland

Die Aufklärung zu den anderen 5 Punkten scheint langsam zu wirken – zumindest auf Twitter. Dafür hört man in sozialen Medien nun immer häufiger einen neuen Hinderungsgrund: “Das für die Laufzeitverlängerung nötige Uran muss zwingend aus Russland kommen.”

Laut dem aktuellen “Red Book” der NEA von 2020 stammt nur 5% der Welturanproduktion aus Russland.12 Russland baut nur 2.900 Tonnen Uran pro Jahr ab, braucht aber für die Versorgung seiner eigenen Reaktoren 5.000 Tonnen Uran pro Jahr (S.95). Russland ist also Uranimporteur. Uran könnten wir aus Russland nicht einmal dann beziehen, wenn wir unbedingt wollten.

Nun müssen wir aber unterscheiden zwischen Uranerz und angereichertem Uran. Beim Anreichern von Uran hat Russland die meisten und die wohl günstigsten Anlagen. Es gibt aber genug Alternativen mit freien Kapazitäten. Selbst in Deutschland gibt es die Urananreicherungsanlage Gronau von Urenco. Selbst wenn die Anreicherung einige Prozente teurer ist als in Russland, macht das bei den Kosten pro Kilowattstunde kaum einen Unterschied.

Ein letzter wichtiger Punkt ist die Fertigung der eigentlichen Brennstäbe für die Verwendung in einem bestimmten Reaktortyp. Die Brennstäbe für WWER-Reaktoren sowjetischer Bauart in osteuropäischen Ländern kommen traditionell aus Russland. Das muss aber nicht so bleiben. Die Ukraine hat 2014 nach der Invasion der Krim auf Lieferungen von Westinghouse aus Schweden umgestellt.

Deutschland hat übrigens seinen letzten WWER-Reaktor 1990 nach der Wiedervereinigung stillgelegt. Die Laufzeitverlängerung von Konvoi-Reaktoren ist von dem WWER-Dilemma überhaupt nicht betroffen. Die Propagandaschlacht zu russischem Uran in deutschen Kernkraftwerken ist völlig absurd.

Es ist sowieso Irsinn so zu tun als würden Uranimporte und Gasimporte gleich schwer wiegen bei der Finanzierung von Putins Krieg. Die Energiedichte von Uran ist 5 bis 6 Größenordnungen höher als die von Erdgas. Mit einem Gramm Uran kann man 100.000 bis 1.000.000 Gramm Erdgas ersetzen (je nach Reaktortyp). Auch bei den Kosten pro Kilowattstunde gibt es mehrere Größenordnungen Unterschied.

Versuch einer Korrektur der Falschinformationen durch BMWK und BMUV via FragDenStaat

Bis heute stehen Falschaussagen des Prüfvermerks unkorrigiert auf den Internetauftritten des Bundesministeriums für Wirtschaft und des Bundesministeriums für Umwelt.

Grund genug für mich eine Anfrage laut Informationsfreiheitsgesetz zu stellen. Solche Anfragen bündelt und veröffentlicht die Plattform FragDenStaat. Ich beschränkte mich in der Anfrage auf 3 gut belegbare Sachfehler im Prüfvermerk:

  1. Verwechslung von Streckbetrieb (zusätzliche Strommengen) und Teillastbetrieb (Verlagerung von Strommengen)
  2. Verwechslung von PSÜ (betriebsbegleitend) und PSA (Stillstand)
  3. Verwechslung von Betriebsgenehmigung und Genehmigung zum Leistungsbetrieb

Meine erste Anfrage ging am 3. Juli 2022 an das Wirtschaftsministerium (BMWK), Mitverfasser des Prüfvermerks. Die Antwort ist überraschend:

“das BMWK ist hier leider nicht zuständig. Bitte wenden Sie sich an das BMUV und stellen dort Ihren IFG-Antrag erneut.”

Das Wirtschaftsministerium übernimmt keine Verantwortung für den Prüfvermerk?

Meine nächste Anfrage vom 4. Juli 2022 ging an des Bundesumweltministerium (BMUV). Es folgt am 7. Juli eine lange Antwort, in der es vor allem um die Entstehungsgeschichte des Prüfvermerks geht.

Erst der letzte Satz behandelt meine Frage:

“Im Ergebnis spiegelt der Prüfvermerk vom 7. März 2022 nach wie vor die Auffassung des BMUV wieder, eine Überarbeitung ist nicht vorgesehen.”

Mit anderen Worten: Wir werden die Falschinformationen nicht korrigieren. Wir werden die Falschinformationen so wie sie sind weiter verbreiten.

Fazit: Kernkraft hätte russische Importe ersetzt und Preise gesenkt

Eine Laufzeitverlängerung der 6 letzten deutschen Kernkraftwerke war technisch, wirtschaftlich und gesetzlich möglich. Es gab laut Umfragen seit der Energiekrise sogar eine gesellschaftliche Mehrheit dafür.

Die 6 Kernkraftwerke hätten einen signifikanten Teil der Gasverstromung ersetzen können und zwar schon im Winter 2022/2023. Insgesamt verstromten wir gut ein Drittel so viel Gas, wie wir aus Russland importieren.

Für jede kWh Erdgas, die Kernkraftwerke nicht direkt ersetzen können, sparen sie alternativ russische Kohle ein. Oder sie helfen über das europäische Verbundnetz unseren Nachbarländern vom russischen Gas loszukommen. Kein anderes Land in Europa hatte 6 große und moderne Kernkraftwerke als Ass im Ärmel.

Auch mittelfristig machte die Verlängerung Sinn. Die Stromnachfrage steigt durch Ausbau von Wärmepumpen, das Ausrollen der Elektromobilität und die Einführung einer Wasserstoffwirtschaft. Strom ist heute schon der flexibelste Energieträger. Das mach die Strom erzeugenden Kernkraftwerke flexibel einsetzbar. Es liegt jetzt an der Politik zügig die richtige Entscheidung zu fällen.

Timeline 2022: Habecks Prüfung zur AKW-Laufzeitverlängerung im Zeitstrahl

Der zeitliche Verlauf der Prüfung der Laufzeitverlängerung der letzten 6 deutschen Kernkraftwerke in den Medien:

Im Anschluss an das Machtwort des Kanzlers wurden 3 der letzten 6 AKW für 3 Monate weiterbetrieben. 2 Jahre später gab es einen Untersuchungsausschuss in die Vorgänge zum Atomausstieg 2022.

Updates:

  • 05.04.2022: Erstmals veröffentlicht mit 5 Punkten.
  • 25.05.2022: Russisches Uran als 6. Punkt hinzugefügt.
  • 17.06.2022: Update zum Anteil der Gasverstromung an russischen Exporten (Punkt 1) und neuer Absatz zu den europäischen Plänen zur Reduzierung von russischem Erdgas
  • 25.06.2022: Neuer Absatz zur neuen FAQ des BMWK
  • 12.07.2022: Neuer Abschnitt am Ende zum Medienecho
  • 16.07.2022: Neuer Absatz zur Anfrage nach Informationsfreiheitsgesetz
  • 22.10.2022: Erst einmal letztes Update zur Timeline
  • 29.10.2022: Kleines Update zur Akteneinsicht der WELT
  • 25.04.2024: Post Mortem am Anfang hinzugefügt nach Akteneinsicht
  • 06.06.2024: Habecks 180-Grad-Wende ergänzt
  • 16.04.2025: Artikel komplett überarbeitet und mit den Erkenntnissen aus dem Untersuchungsausschuss ergänzt

Quellen

  1. Tabelle 23 Energiedaten: Gesamtausgabe BMWI (2022)
  2. Imports of natural gas by partner country Eurostat (2021)
  3. Verhältnis erzeugter Strommengen Kernkraft/Erdgas im Jahr 2021 AGEB (2022)
  4. Gesamte Nettostromerzeugung in Deutschland im Mai Energy Charts (2022)
  5. Lagebericht Gasversorgung Stand: 17.06.2022 Bundesnetzagentur (2022)
  6. Nettostromerzeugung aus Kernenergie in Deutschland 2015 Energy-Charts (2021)
  7. Feststellung des zusätzlichen Reservekraftwerksbedarfs für das 1. Quartal 2015 Bundesnetzagentur (2014)
  8. Quo vadis, Netzstabilität? ATW (2021)
  9. Nettostromerzeugung aus Erdgas in Deutschland 2020 Energy-Charts (2022)
  10. DIW aktuell 84: Sonderausgaben zum Krieg in der Ukraine DIW (2022)
  11. Nettostromerzeugung aus Erdgas in Deutschland 2022 Energy-Charts (2022)
  12. Uranium Resources, Production and DemandNEA (2020)

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