Die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche will 40 große Gaskraftwerke bauen. Wieso und warum reicht das nicht?
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Robert Habeck wollte mit seiner Kraftwerksstrategie 50 große Gaskraftwerke bauen (25 GW)
Er musste wegen Finanzierungsproblemen erst auf 25 Gaskraftwerke reduzieren und ist dann ganz gescheitert.
Habeck war nicht der erste Wirtschaftsminister, der Gaskraftwerke bauen wollte. Auch Peter Altmaier kündigte das schon an.
Er war auch nicht der letzte. Seine Nachfolgerin Katharina Reiche will nun mindestens 40 große Gaskraftwerke zubauen (20 GW).
Reiche ist damit nicht besonders erfolgreich und zieht Häme auf sich. Der Kohleausstieg scheint zu wackeln.
Kohleausstieg: Warum brauchen wir Gaskraftwerke?
Warum will die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche überhaupt 20 GW Gaskraftwerke bauen? Brauchen wir die?
Deutschland hat aktuell 30 GW Kohlekraftwerke:1
- 15 GW Braunkohle
- 8 GW Steinkohle
- 7 GW Steinkohle-Reserve
Bis 2038 soll nun der Kohleausstieg erfolgen, idealerweise sogar schon 2030. Es sind aber bisher nur 2,2 GW neue Gaskraftwerke geplant, um die Kohlekraftwerke zu ersetzen.
Diese massive Kraftwerkslücke wird sogar noch größer durch zusätzliche Verbraucher wie Wärmepumpen und E-Autos. Ohne den Zubau von regelbarer Leistung gibt es keinen Kohleausstieg.
Es ist für den Kohleausstieg übrigens egal, wie viel Wind und Solar wir noch zubauen. Die wetterabhängigen Erneuerbaren liefern fast keine gesicherte Leistung in Dunkelflauten.
Ohne Ersatz können wir Kohlekraftwerke nicht stilllegen. Bisher untersagte die Bundesnetzagentur bereits die Stilllegung von 7 GW Steinkohlekraftwerken. Die warten nun in der Reserve.
Dunkelflauten: häufiger und massiver als behauptet
Wenn Wind und Sonne uns nicht mit genügend Energie versorgen können, spricht man von einer Dunkelflaute. Für die deutsche Energiewende ist die Dunkelflaute quasi der Endgegner.
Dunkelflauten sind massiv und häufig. 69% der Zeit liefern Wind und Solar im Jahr 2030 nicht genug Strom mit den vom BMWK vorgegebenen Ausbauzielen: 23
Bei Skalierung der Erzeugungs- und Lastdaten der Jahre 2015 bis 2025 auf die optimistischen Ausbauziele, bleibt die Residuallast zu 69% der Zeit größer Null.
Die Residuallast ist die nicht von Wind und Sonne gedeckte Nachfrage. Wenn sie größer Null ist, bleibt ein Versorgungsengpass. Andere Kraftwerke müssen einspringen.
Wenn 69% der Zeit Dunkelflauten herrschen, brauchen wir zusätzlich sehr viel gesicherte Leistung in 2030:
- 69% der Zeit Versorgungsengpass mit 0 GW gesicherter Leistung
- 14% der Zeit Versorgungsengpass mit 50 GW gesicherter Leistung
- 1% der Zeit Versorgungsengpass mit 70 GW gesicherter Leistung
- 0% der Zeit Versorgungsengpass mit 90 GW gesicherter Leistung
Batteriespeicher und andere Flexibilisierungen können diese Zahlen durch Peak-Shaving um ein paar GW verbessern. Aber Versorgungsengpässe grundsätzlich vermeiden können nur regelbare Kraftwerke.
Dass Dunkelflauten selten oder harmlos wären, wie von der Journalistin Amy Walker in der Frankfurter Rundschau behauptet, wird nicht von der Datenlage getragen.
Im Gegenteil: Je weiter die Energiewende hin zu hauptsächlich Wind- und Solarstrom voranschreitet und je mehr elektrifiziert wird, desto länger und massiver werden Dunkelflauten.
Energiesystem der Zukunft: Warum Hunderte Gaskraftwerke?
Dunkelflauten wird es immer geben. Auch nach erfolgreichem Abschluss der Energiewende brauchen wir im Energiesystem der Zukunft immer genug Gaskraftwerke als Backup.
Eine aktuelle Studie von Fraunhofer ISE rechnet mit einem Endausbau von 130 GW bis 150 GW Gaskraftwerken, um im Jahr 2045 Dunkelflauten meistern zu können.4
Zum Vergleich: wir haben heute nur 34 GW Gaskraftwerke am Netz und bis 2030 sollen rund 2 GW zugebaut werden. Das ist nur rund ein Viertel der benötigten Leistung.
Damit die Energiewende gelingt, müssen wir zwischen 2030 und 2045 das größte Gaskraftwerksbauprogramm in der Geschichte auf die Beine stellen.
Dies ist eine enorme Herausforderung. Je länger wir warten, desto unwahrscheinlicher werden der Kohleausstieg und das Erreichen der Ziele der Energiewende.
Es wollen ja auch andere Länder neue Gaskraftwerke bauen und Firmen wie Siemens Energy haben bereits volle Auftragsbücher. Das bedeutet weitere Kosten und Wartezeiten.
Biomasse & Geothermie: Alternativen für gesicherte Leistung?
Die bekannte Energiewende-Aktivistin Claudia Kemfert behauptet “Gas ist extrem teuer”. Gibt es keine Alternative zur Kraftwerksstrategie mit Gaskraftwerken?
Als Alternative schlägt Kemfert vor: “flexible Kraftwerke können auch nachhaltige Biomasse-Kraftwerke sein, Wasserkraft oder Geothermie”.5
Dabei ist Biogas teurer als Erdgas und ebenfalls sehr klimaschädlich. Noch teurer ist Geothermie. Wasserkraft wäre gut, lässt sich aber kaum noch ausbauen.
Die von Kemfert angesprochenen Batterien helfen nur in den ersten Stunden einer Dunkelflaute. Es ist finanziell ruinös, mit Batterien Tage oder Wochen zu überbrücken.
Als weitere Möglichkeit erwähnt Kemfert die Verteuerung von Strom während Dunkelflauten. Genau das will Wirtschaftsministerin Reiche ja eben verhindern um teure Strompreise zu senken.
Claudia Kemfert scheint in einer Welt zu leben, in der die Stromkosten keine Rolle spielen. Sie schimpft auf die fossile Lobby, aber scheint der Erneuerbaren-Lobby jedes Wort zu glauben.
Reaktivierung von AKW: Günstigere & klimafreundliche Leistung
Die Reaktivierung von Kernkraftwerken erwähnt Kemfert leider nicht. Knapp 30 deutsche Reaktoren befinden sich aktuell im Rückbau. Eine Reaktivierung von bis zu 11 dieser AKW würde finanziell Sinn machen.
9 Kernkraftwerke mit je 1,4 GW Nennleistung können 12,6 GW Gaskraftwerke ersetzen. Das würde bereits die Hälfte des für den Kohleausstieg benötigten Gaskraftwerks-Zubaus überflüssig machen.
Das Energiewende-Beratungsunternehmen DNV berechnet sogar, dass pro 4 GW Kernkraftwerksleistung 5,1 GW Gaskraftwerksleistung ersetzt werden können. Billiger wäre das laut DNV außerdem.6
Mehrere dieser Kernkraftwerke könnten bereits vor 2030 wieder am Netz sein, wenn die Politik das wollte. Deutlich klimafreundlicher als Gaskraftwerke und Biomasse sind die AKW außerdem.
Kernkraftwerke sind außerdem billiger als die Alternativen. Laufzeitverlängerte AKW sind sogar die günstigste Form der Stromerzeugung, billiger als Wind und Solar.
Ironischerweise hatten wir einmal rund 25 GW Kernkraftwerke am Netz. Ohne den kostenreichen Atomausstieg hätten wir uns die Diskussion um die Kraftwerksstrategie sparen können. Wir hätten längst aus der Kohle aussteigen können.
“H2 Ready”: Habecks geschicktes Erdgas-Marketing
Robert Habeck hat die Kraftwerkstrategie besser verkauft als Katharina Reiche. Er behauptete, man könne die Gaskraftwerke “wasserstofffähig” ausschreiben für eine spätere Umrüstung.
Der Begriff “H2 Ready” bedeutet aber nicht, dass ein Kraftwerk tatsächlich auch mit Wasserstoff laufen kann. Große Gaskraftwerke, die mit 100% Wasserstoff laufen, gibt es noch gar nicht.
“H2 Ready”-Gaskraftwerke müssen nur eine Beimischung von 20 Volumenprozent Wasserstoff verkraften. Das sind nur rund 7% am Energiegehalt wegen der geringen Dichte von Wasserstoff.
“H2 Ready” ist genau so ein Betrug wie damals “HD Ready”. Und der Umbau auf “Full H2” ist keineswegs einfach. Man muss für den reinen Wasserstoffbetrieb einen Großteil des Gaskraftwerks ersetzen.
Laut Fraunhofer brauchen wir rund 60-100 GW Gaskraftwerke mit Wasserstoff als Brennstoff und rund 50-75 GW Gaskraftwerke mit Methan als Brennstoff (je nach Szenario).
Es ist also unnötig, schon heute Wasserstoffkraftwerke auszuschreiben. Bis es genug grünen Wasserstoff gibt, wird sowieso noch viel Zeit vergehen – wenn das überhaupt jemals passiert.
Fazit: Befremdliche Doppelmoral in der Energiewende
Wenn Katharina Reiche 20 GW Gaskraftwerke zubauen will, wird sie als Erdgas-Lobbyistin geschmäht.
Wenn Robert Habeck 25 GW Gaskraftwerke zubauen will und einen Kniefall vor LNG-Scheichs macht, gilt er als großer Politiker.
Die gleichen Wähler finden die gleichen Inhalte nur dann gut, wenn sie vom Lieblings-Politiker der Lieblings-Partei kommen.
Diese Doppelmoral spricht Bände über unseren politischen Diskurs. Es geht nicht mehr um eine rationale Auseinandersetzung mit Themen.
Schade, denn in der Energiewende wäre ein pragmatischer Diskurs dringend nötig, um in Zukunft Schlimmeres zu verhindern.
Wahrscheinlich werden wir uns in 10 Jahren wundern, warum der Kohleausstieg weit entfernt ist und in 20 Jahren, warum es mit der Klimaneutralität nicht klappt.
Quellen
- Kraftwerksliste Bundesnetzagentur (2025)
- Neuer Schwung für erneuerbare Energien BWMK (2022)
- Skalierung auf Ausbauziele: 210 GW Photovoltaik, 115 GW Wind Onshore, 30 GW Wind Offshore, 600 GW/a Netzlast
- Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem Fraunhofer ISE (2024)
- Wie klimafreundlich sind Gaskraftwerke? Tagesschau (2025)
- Energy Transition Outlook DNV (2025)