Hochrisiko mit Habeck: Keine Laufzeitverlängerung trotz Energiekrise

Der Wirtschaftsminister lehnt eine Laufzeitverlängerung der AKW trotz Energiekrise ab. Wir bekommen eine Hochrisikopolitik statt einer “Hochrisikotechnologie”.

Ich bin ein Meister der Prokrastination. Aber bei Robert Habeck kann ich noch dazu lernen.

4 Monate überlegte er wegen der Laufzeitverlängerung der AKW, nachdem die Energiekrise schon 6 Monate alt war.

Dann schob er einen Stresstest vor, der weitere 2 Monate dauerte.

Nun vertagte der Wirtschaftsminister bei 2 von 6 AKW die Entscheidung um weitere 6 Monate. Sie sollen keinen Strom mehr erzeugen, sondern in Reserve bleiben.

Bei den restlichen 4 Kernkraftwerken steht die Entscheidung: Sie werden trotz Energiekrise und neuen Strompreisrekorden im Winter 2022/2023 abgeschaltet.

Für Unternehmen und Privatleute bleiben die Stromkosten hoch ohne die AKW. Erste soziale Unruhen wegen hoher Energiekosten gab es schon.

Wir fallen außerdem unseren europäischen Nachbarn in den Rücken. Deutschland fordert Solidarität, aber verschlimmert die Energiekrise ohne Weiteres.

Bei der sicheren Atomkraft spricht Habeck von “Hochrisiko”. Aber bei Versorgungssicherheit, politischen und sozialen Konflikten ist ihm offensichtlich kein Risiko zu hoch.

Energiekrise 2021-2022: Gaskrise & Stromkrise

Die Gaskrise feierte längst ihren ersten Geburtstag. Russland drosselte schon im August 2021 den Zufluss durch die Jamal-Pipeline und leerte Gasspeicher im Besitz von Gasprom. Seit September 2022 fließt nun überhaupt kein russisches Gas mehr.

Auch die Stromkrise begleitet uns mehr als ein Jahr. Schon im September 2021 wurden die Strompreise am Spotmarkt dreistellig. (siehe Graph oben)1 Im Januar 2021 stiegen sie erstmals auf über 200 Euro im Monatsmittel.

Die Stromkrise verschärfte sich im Sommer 2022 extrem:

  • Hohe Strompreise durch Kopplung an hohe Gaspreise
  • Wartungsprobleme bei französischen Kernkraftwerken
  • Niedrige Produktion von Wasserkraftwerken wegen Dürre
  • Lieferprobleme für Steinkohle wegen niedriger Flussstände

Es war aber nicht nötig die Eskalation im Sommer abzuwarten. Mit dem Ukrainekrieg war eine dauerhafte Stromkrise besiegelt. Ein Blick an die Strombörse mit immer neuen Rekordpreisen im Januar und April 2022 zeigte das ohne jeden Stresstest.

In einer Stromkrise zählt jede Kilowattstunde. Unsere 6 Kernkraftwerke erzeugen 65 Millionen kWh pro Jahr, sind klimafreundlich und günstig. Auch um darin einen Nutzen zu sehen, braucht man keinen Stresstest. Trotzdem machten wir einen.

Ergebnis des 2. Stresstests: Unterversorgung ist wahrscheinlich

Was bedeutet der Strommangel für Deutschland? Was sind die Auswirkungen auf Süddeutschland, wo es schon vor der Energiekrise eine Versorgungslücke wegen der wenigen Kohlekraftwerke gab?

Der sogenannte Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber sollte das klären mit 3 Szenarien zunehmender Komplikationen: vom einfachen “1+” bis zum schwierigen “3+”.

Die Ergebnisse dieses Analyse vom September 2022 in Kurzfassung sind:2

  • in allen 3 Szenarien kommt es zu einer Lastunterdeckung laut Leistungsbilanz im Strommarkt von bis zu 7 GW (1+/2+) und bis zu 19 GW (3+)
  • in allen 3 Szenarien kommt es zu Netzengpässen mit nötigem Ausgleich aus Nachbarländern von bis zu 4-5 GW (1+/2+) und bis zu 9 GW (3+)

Die Netzbetreiber empfehlen deshalb dringend die

“Nutzung aller Möglichkeiten zur Erhöhung der Strom-Erzeugungs- und Transportkapazitäten”

Dazu gehört laut Netzbetreibern explizit der Weiterbetrieb der 3 noch aktiven Kernkraftwerke im Streckbetrieb:

“Verfügbarkeit der KKW ist ein weiterer Baustein zur Beherrschung kritischer Situationen (siehe Analyseergebnisse).”

Wenn die empfohlenen Maßnahmen nicht durchgeführt werden oder nicht ausreichen, müssen laut Netzbetreibern Verbraucher vom Netz genommen werden. Der Strom wird abgestellt.

Habecks Entscheidung: Trotz Empfehlung keine Laufzeitverlängerung

Habeck hat seit mindestens Februar die Entscheidung zur Laufzeitverlängerung verschleppt und nach gut 4 Monaten Aufschieben auf den Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber vertröstet.

Noch eine Woche vor Verkündigung der Ergebnisse des Stresstests verwies er beim Tag der offenen Tür im BMWI auf die Berechnungen der Übertragungsnetzbetreiber :

“Mit der Frage muss man sich auseinandersetzen und das tun wir. Und dann kucken wir, was dabei rauskommt. Das ist komplex, das machen die Netzbetreiber.”

Die Ergebnisse der Netzbetreiber haben Habeck wohl nicht gefallen. Obwohl der Stresstest einen Weiterbetrieb der AKW empfiehlt, erteilt Habeck der Laufzeitverlängerung eine Absage.

Er hatte wohl nie vor, die Laufzeit der Kernkraftwerke zu verlängern. Wenn die Ergebnisse des Stresstests gar keine Rolle spielen, war dieser offensichtlich nur vorgeschoben.

Hochrisiko? 6 Kernkraftwerke können verlängert werden

Immerhin, nach 6 Monaten Falschinformationen über angebliche Hinderungsgründe, muss Habeck endlich zugegeben, dass die Kernkraftwerke auch 2023 sicher und betriebsbereit sind – selbst ohne neue Brennstäbe.

In der Pressekonferenz zum Stresstest verbreitet er erstmals in diesem Jahr keine Falschinformationen zu Sicherheitsprüfungen, Streckbetrieb und dem angeblich nicht existierenden Stromproblem. (!)

Sein einziges verbliebenes Argument gegen AKW ist das der “Hochrisikotechnologie”. Das ist schon wieder offensichtlich falsch. Kernkraft ist die sicherste Energiequelle, die wir haben.

Die Kohlekraftwerke, die Habeck statt den Kernkraftwerken zurück ans Netz holen will, sind hingegen die tödlichsten Stromerzeuger. Sie haben außerdem die höchsten CO2-Emissionen, Kernkraft die niedrigsten. Die Versorgung mit teurer Steinkohle aus Kolumbien und Australien ist nicht einmal gesichert.

Und dann haben wir noch nicht über das Hochrisiko einer wahrscheinlich gewordeneren Strommangellage geredet. Deren Auswirkungen sind um eine Größenordnung verheerender als die der schlimmsten Kernschmelze.3

Strompreise: Kostenentlastung durch Kernkraftwerke

Laut Stresstest können die 3 noch aktiven Kernkraftwerke einen messbaren Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten und die Wahrscheinlichkeit einer Strommangellage verringern.

Es geht aber nicht nur um Blackouts. Ebenso wichtig wie Leistungsbilanz und Regelenergie sind die niedrigen Kosten von AKW, insbesondere Brennstoffkosten bzw. variable Kosten.

Wegen dem Merit-Order-Effekt an der Strombörse können günstige Kernkraftwerke die hohen Strompreise reduzieren. Habeck bezeichnet in der Pressekonferenz die Preissenkung durch AKW als insignifikant. Dafür gibt es meines Wissens keinen Beleg. Der Stresstest untersucht das gar nicht.

Tatsächlich würde schon die Ankündigung einer Laufzeitverlängerung von 6 Kernkraftwerken sofort die Strompreise für 2023 am Terminmarkt senken. Freie Märkte preisen neue Informationen sofort ein.

Stattdessen ist der Strompreis für Grundlast bei aktuell :

  • 865 Euro/MWh im Januar 2023
  • 872 Euro/MWh im Februar 2023

Die Preise bleiben extrem hoch bis Mitte 2024 und werden erst 2026 (!) wieder zweistellig. 4 So lange dauert es vermutlich, bis deutsche LNG-Terminals gebaut sind.

Zur Einordnung: Im Januar/Februar 2021 und davor kostete die Megawattstunde Grundlast noch rund 60 Euro, also weniger als ein Zehntel. So viel zur absurden Behauptung, wir hätten kein Stromproblem.

Kernkraftwerke in Reserve: Wie sinnvoll ist das?

Statt zumindest die 3 noch aktiven Kernkraftwerke am Netz zu lassen, sollen sie in die Reserve gehen. Sie bleiben betriebsbereit, aber erzeugen keinen Strom mehr.

Wir tragen also alle Kosten wie im normalen Betrieb, haben aber keinen Nutzen davon. Das ist , wie Wirtschaftsweise Professorin Grimm sagt “die schlechteste aller Lösungen”.

Das modernste deutsche Kernkraftwerk Emsland soll nicht einmal in die Reserve, sondern komplett abgeschaltet werden. Es steht in Niedersachsen, wo im Oktober Landtagswahlen sind.

Auch die 3 Kernkraftwerke, die zum 31.12.2021 abgeschaltet wurden, sollen nicht mehr ans Netz gehen, nicht einmal in die Reserve. Ein Grund dafür wurde nicht angegeben.

Die Reserve soll im 2. Quartal 2023 beendet werden, egal ob sie danach noch gebraucht wird. Die Gasspeicher werden 2023 aber noch schwerer zu füllen sein als 2022 und die Strompreise bleiben bis 2026 hoch.

Es gibt außerdem offene Fragen zu Habecks Idee einer Kernkraft-Reserve:

  • Ist es sinnvoll in einer absoluten Notlage neue Konzepte auszuprobieren, wie eine noch nie ausprobierte AKW-Reserve?
  • Was nützt eine Reserve mit einer Woche Aktivierungszeit gegen kurzfristigen Strommangel?
  • Dürfen AKW mit niedriger Kühlmitteltemperatur im Streckbetrieb überhaupt wieder angefahren werden?
  • Können Kernkraftwerke mitten in einem als besonders streng anzunehmenden Winter aus kaltem Betriebszustand gestartet werden?
  • Sind die AKW-Betreiber bereit einen aufwendigen Betrieb als Notreserve zu ermöglichen – können die Netzbetreiber ihn erzwingen?

Habeck hat seine überraschende Entscheidung Isar2 und Neckarwestheim in die Reserve zu stecken wohl nicht einmal mit den Betreibern dieser Kraftwerke abgesprochen.

PreussenElektra, Tochter von E.On und Betreiber von Isar 2 hat sich bereits geäußert, dass der Reservebetrieb nicht technisch machbar wäre.

Umfragen zur Notreserve

Auch die deutschen Bürger scheint Habecks Idee einer Notreserve nicht zu überzeugen. In 2 Umfragen vom September 2022 sind 15% bis 32% der Befragten dafür:

  • 54% Laufzeitverlängerung, 32% Notreserve, 12% Atomausstieg
    von Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag von ZDF Politbarometer 5
  • 67% Laufzeitverlängerung, 15% Notreserve, 16% Atomausstieg
    von Civey im Auftrag von 1&1 Internet6
  • Eine Mehrheit von 54% bis 67% der Deutschen ist weiterhin für eine Laufzeitverlängerung über mehrere Jahre. Nur 12% bis 16% sind für einen vollständigen Ausstieg.

    Fazit: Partei & Ideologie über Bürger & Pragmatismus

    Habeck gibt sich gerne als Pragmatiker. Beim Atomausstieg richtet er sich aber nach Interessen seiner Partei statt denen der Bürger.

    Statt zu handeln, schiebt er auf und vertröstet auf Experten, nur um deren Ratschläge dann zu ignorieren. Merkel hätte wahrscheinlich im März die Laufzeitverlängerung beschlossen, ohne den unnötigen Stresstest.

    Viele Deutsche haben es Habeck zugetraut, über seinen Schatten zu springen, zugegeben: ich war einer davon. Er hat uns leider enttäuscht. Vielleicht war es schon immer Wunschdenken, dass ein grüner Minister den Atomausstieg rational bewerten würde.

    Habeck spricht gerne von der abstrakten “Hochrisikotechnologie Atomkraft”. Aber bei seiner Risikoabwägung vergisst er die ganz realen Gefahren, die sich aus einer verhinderten Laufzeitverlängerung ergeben.

    Es gibt nun mehrere Szenarien:

    1. Blackout durch Strommangel (unwahrscheinlich)
    2. Strompreise sinken (unwahrscheinlich)
    3. Strompreise bleiben hoch (höchstwahrscheinlich)

    Mit seinem Fokus auf unwahrscheinliche Blackouts übersieht Habeck die eigentliche Gefahr der hohen Strompreise über Monate und Jahre. Bei einer Insolvenzwelle oder sozialen Unruhen wird die Schuld auf ihn zurückfallen.

    Habeck hat durch die grundlose Verhinderung der Laufzeitverlängerung den schwarzen Peter bereitwillig an sich gerissen. Er kann nicht mehr behaupten, er hätte alles getan, um Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

    Quellen

    1. Börsenstrompreise Energy-Charts (2022)
    2. Sonderanalysen Winter 2022/2023 Übertragunsnetzbetreiber (2022)
    3. Nationale Risikoanalyse von Katastrophen und Notlagen Bundesamt für Bevölkerungsschutz (2020)
    4. German Power Baseload Calenda Month Futures CME Group (2022)
    5. Politbarometer September I 2022 Forschungsgruppe Wahlen (2022)
    6. Wie sollte Ihrer Meinung nach mit den drei derzeit noch laufenden deutschen Atomkraftwerken verfahren werden? Civey (2022)

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