Das Energieeffizienzgesetz hat mehr mit Degrowth als mit Effizienz zu tun.
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Das Energieeffizienzgesetz wurde im September 2023 fast unbemerkt verabschiedet.
Es diktiert unter anderem weitreichende Energiesparmaßnahmen.
Überraschenderweise hat das Energieeffizienzgesetz mit Energieeffizienz wenig zu tun.
Es geht nicht um Effizienzsteigerungen, denn die werden überhaupt nicht gemessen.
Das Gesetz setzt stattdessen Anreize, die laufende Deindustrialisierung zu verstärken.
Außerdem werden die Elektrifizierung und der Ausbau von Wind und Solar vorangetrieben.
Ist das wirklich sinnvoll?
Was will das Energieeffizienzgesetz?
Das “Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz in Deutschland (Energieeffizienzgesetz)” wurde am 21. September 2023 beschlossen.
Es sieht vor den Endenergieverbrauch zu senken:
- 2008: 2.540 TWh
- 2030: 1.867 TWh (-27%)
- 2045: 1.143 TWh (-45%)
Diese Zahlen stammen direkt aus §4 Energieeffizienzgesetz.
Auch der Primärenergieverbrauch soll gesenkt werden:
- 2008: 3.710 TWh
- 2030: 2.252 TWh (-39%)
Die Primärenergieträger sind die Energiezufuhr eines Energiesystems und die Endenergie ist ein erster Umwandlungsschritt auf dem Weg zur Nutzenergie.
Die Nutzenergie wird allerdings vom Energieeffizienzgesetz gar nicht betrachtet. Es werden nur Inputs gemessen, aber überhaupt keine Outputs.
Ohne Outputs lässt sich aber gar keine Effizienz berechnen. Es geht beim Energieeffizienzgesetz also eigentlich nicht um Effizienzsteigerungen.
Nutzenergie: Output so wichtig wie Input
Die Energieeffizienz berechnet sich aus der erhaltenen Energie (Output) geteilt durch die eingesetzte Energie (Input).
Auch andere Definitionen von Effizienz sind möglich, wie das Bruttoinlandsprodukt (Output) pro Energieeinheit (Input).
Das Energieeffizienzgesetz betrachtet aber nur die eingesetzte Energie – nicht das, was hinten rauskommt.
Es wird also implizit davon ausgegangen, dass die Nutzenergie gleich bleibt. Diese Annahme ist aber ein Fehlschluss.
Dem Energieeffizienzgesetz kann ich auch dann gerecht werden, wenn ich energieintensive Prozesse ins Ausland verlagere.
Hier werden also Anreize gesetzt für das Abwandern energieintensiver Industrie in weniger regulierte Länder.
Eine Folge des Energieeffizienzgesetzes dürfte eine Ausweitung der Deindustrialisierung Deutschlands sein.
Fernziel Net Zero: Wasserstoff ist ineffizíent
Richtig gruselig wird das Energieeffizienzgesetz, wenn man an das Fernziel Klimaneutralität denkt. Deutschland will Net Zero im Jahr 2045 erreichen.
Wenn wir bis dahin den Wärmesektor und den Verkehrssektor komplett dekarbonisieren wollen, dann geht das nur mit Hilfe von Wasserstoff und Synfuels.
Diese Energieträger müssen aber erst sehr ineffizient aus Strom erzeugt werden. Kaum weniger ineffizient sind auch Lichtbogenöfen für die Prozesswärme.
Selbst die Stromerzeugung wird mit dem weiteren Zubau von Wind- und Solaranlagen zunehmend ineffizienter, insbesondere durch Saisonspeicher.
Insgesamt steigt der Energiebedarf durch die Sektorkopplung, insbesondere auf der Zielgeraden zur Klimaneutralität.
Das sage nicht nur ich, das sagen auch die Endenergie-Prognosen der “Big 5” Energiewende-Studien:123456
- 1.977 TWh: Ariadne Remod-Mix
- 1.658 TWh: BMWi TN-PtG/PtL
- 1.513 TWh: Ariadne Remind-Mix
- 1.501 TWh: BDI Klimapfade 2.0
- 1.465 TWh: DENA KN100
- 1.450 TWh: BMWi TN-H2-G
- 1.352 TWh: BMWi TN-Strom
- 1.248 TWh: Agora KN2045
Das im Energieeffizienzgesetz bereits unverbindlich erwähnte Fernziel, bis 2045 die Endenergie um 45% (auf ~1150 TWh) zu senken, ist demnach völlig unrealistisch.
Fehlerbehaftete Metriken: Inputs nicht richtig gemessen
Das völlige Ignorieren von Outputs ist ein großes Problem des Energieeffizienzgesetzes, aber nicht das einzige.
Auch die beiden Metriken Endenergie und Primärenergie nach Wirkungsgradprinzip sind eine äußerst fragwürdige Wahl.
Beide Metriken addieren nicht vergleichbare Energieträger wie 1 kWh Solarstrom und 1 kWh Heizwert Kohle auf zu 2 kWh “Energie”.
Das ist so, als ob ich 1 kg Gold und 1 kg Silber aufaddiere und sage, ich habe 2 kg “Wertmetalle”. Stimmt, aber das Verhältnis ist entscheidend für den Wert.
So wie Gold mehr wert ist als Silber, ist auch Strom mehr wert als Wärme. Mit Strom kann ich Arbeit verrichten, mit Wärme nur teilweise. (nur der Exergie-Anteil)
Die beiden Metriken sind so fehlerbehaftet, dass man die Zahlen jeweils um zwei Drittel senken kann, ohne dass die Energieeffizienz auch nur um 0,1% zunimmt.
Tatsächliche Effizienzgewinne werden hier von statistischen Fehlern dominiert. Am Ende des Artikels folgt ein einfaches Beispiel für jede Metrik.
Wärme ≠ Arbeit: bessere Metrik Substitutionsmethode
Eine brauchbare Metrik berücksichtigt den Unterschied zwischen Gold und Silber, also zwischen Arbeit und Wärme. Genau das macht die Primärenergie nach Substitutionsmethode.
Bei der Substitutionsmethode kommt es nicht zu absurden statistischen Fehlern, wenn man Kohlestrom durch Wasserstrom, Solarstrom oder Windstrom ersetzt.
Wenn der Primärenergieverbrauch nach Substitutionsmethode abnimmt, dann ist tatsächlich die Energieeffizienz gestiegen – bei gleichbleibender Nutzenergie.
Leider wird in Deutschland und der EU die Substitutionsmethode kaum verwendet. Mit “Primärenergie” ist bei uns meistens die Wirkungsgradmethode gemeint.
Die Wirkungsgradmethode wurde im Jahr 1995 eingeführt. Damals lieferten beide Methoden fast die gleichen Zahlen – außer in Ländern mit viel Wasserkraft.
Seitdem nahmen aber die Rechenartefakte der Wirkungsgradmethode aber stark zu. Sie ist mit hohen Anteilen von Windenergie und Solarenergie nicht mehr zeitgemäß.
Energieeffizienzgesetz & Erneuerbare-Energien-Gesetz 2023
Erstaunlicherweise sorgen die untauglichen Metriken dafür, dass das Energieeffizienzgesetz deutlich entschärft wird.
Allein der geplante Zubau von Wind und Solar nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz bis 2030 erfüllt mehr als die Hälfte des Primärenergie-Ziels:
- 13 von 21 Prozentpunkten Senkung Primärenergie durch ~350 TWh Zubau von Wind und Solar zwischen 2022 und 2030 78
Wenn die Elektrifizierungs-Annahmen im Erneuerbare-Energien-Gesetz bis 2030 erreicht werden, dann wird das Endenergie-Ziel bereits größtenteils erreicht:
- 14 von 18 Prozentpunkten Senkung Endenergie durch Steigerung Stromverbrauch von 500 auf 750 TWh zwischen 2022 und 2030 910
Falls der Ausbau von Wind und Solar, sowie die Elektrifizierung wie im EEG 2023 angenommen voran geht, dürfte der Deindustrialisierungsdruck also deutlich gesenkt werden.
Ob die Ausbauziele für Wind und Solar und die noch optimistischeren Elektrifizierungsziele wirklich erreicht werden, ist eine andere Frage.
Wie hoch ist das Potential für echte Energieeffizienz?
Natürlich kann das Energieeffizienzgesetz auch zu einer tatsächlichen Erhöhung der Energieeffizienz in Deutschlands Energiesektor führen.
Die Frage ist nur, wie hoch das Potential dafür überhaupt noch ist. Die deutschen Energiepreise und Industriestrompreise sind bereits sehr hoch.
Gerade die Großverbraucher, auf die das Energieeffizienzgesetz abzielt, drehen bereits heute jede Kilowattstunde dreimal um, bevor sie sie verbrauchen.
Weil sich die Nutzenergie eines ganzen Landes nur schwer abschätzen lässt, gibt es dazu leider kaum harte Zahlen.
“Bislang mangelt es noch an methodischen und statistischen Voraussetzungen, um den Nutzenergieverbrauch oder die in Anspruch
genommenen Energiedienstleistungen hinreichend gesichert quantifizieren zu können.” 11
Für langjährige Werte über Jahrzehnte, habe ich nur eine Quelle gefunden, die sich auf Zahlen der IEA beruft 12:
- 2007: 42% Energieffizienz – 3.894 TWh Primärenergie – 1.639 TWh Nutzenergie
- 2011: 38% Energieffizienz – 3.711 TWh Primärenergie – 1.389 TWh Nutzenergie
- 2017: 34% Energieffizienz – 3.889 TWh Primärenergie – 1.306 TWh Nutzenergie
Demnach nimmt die Effizienz des gesamten Energiesektors in Deutschland über die Jahre signifikant ab. Das erscheint mir kontraintuitiv.
Ebenso wenig intuitiv erachte ich aber die Annahme, dass bei der Energieeffizienz von Großverbrauchern noch viel Potential übrig ist.
Fazit: 3 überraschende Folgen des Energieeffizienzgesetzes
Ob die Energieeffizienz steigt oder sinkt, ist dem Energieeffizienzgesetz egal. Effizienzen werden gar nicht betrachtet.
Vielmehr setzt das Gesetz Anreize für:
- Ausbau von Wind und Solar
- Elektrifizierung
- Deindustrialisierung
1. und 2. sind sicher wünschenswert, aber bereits doppelt (!) durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz und den EU-Emissionshandel 2 abgedeckt.
Noch mehr Deindustrialisierung ist hingegen nicht wünschenswert, dürfte aber die günstigste Lösung für viele betroffene Großverbraucher sein.
Waren den Machern des Gesetzes diese 3 Effekte unklar? Oder ist das Energieeffizienzgesetz ein trojanisches Pferd für Degrowth?
Egal ob gewollt oder ungewollt, das Energieeffizienzgesetz sorgt für Deindustrialisierung mit Ansage.
Exkurs #1: Wie senkt man Endenergie?
Der Endenergieverbrauch kann stark sinken, ohne dass die Energieeffizienz steigt.
Lass uns als Beispiel eine Gasheizung durch eine Wärmepumpe ersetzen:
- 3.000 kWh Endenergie mit einer Gasheizung mit 100% Wirkungsgrad
- 1.000 kWh Endenergie mit einer Wärmepumpe mit JAZ 3 und Strom aus einem Gaskraftwerk mit 33% Wirkungsgrad
In beiden Fällen sind der Primärenergieverbrauch und die nachgefragte Nutzenergie genau gleich. An der Energieeffizienz hat sich nichts geändert.
Die Endenergie ist aber gleichzeitig um 66% gesunken! Wir haben das Energieeffizienzgesetz übererfüllt, ohne Effizienzgewinn.
Das Beispiel ist übertragbar auf E-Autos und alle anderen elektrifizierten Anwendungen.
Die Endenergie ist aufgrund solcher Artefakte eine ungeeignete Metrik, um Effizienzsteigerungen überhaupt direkt zu messen.
Exkurs #2: Wie senkt man Primärenergie nach Wirkungsgradmethode?
Auch der Primärenergieverbrauch nach Wirkungsgradmethode kann stark sinken, ohne dass die Energieeffizienz steigt.
Lass uns als Beispiel ein Kohlekraftwerk durch ein Wasserkraftwerk ersetzen:
- 3.000 MWh Primärenergie (Wirkungsgrad) mit einem Kohlekraftwerk mit 30% Wirkungsgrad
- 1.000 MWh Primärenergie (Wirkungsgrad) mit einem Wasserkraftwerk mit 90% Wirkungsgrad
In beiden Fällen sind die erzeugte Strommenge und die nachgefragte Nutzenergie genau gleich. An der Energieeffizienz hat sich nichts geändert.
Die Primärenergie nach Wirkungsgradmethode ist aber gleichzeitig um 66% gesunken! Wir haben das Energieeffizienzgesetz übererfüllt, ohne Effizienzgewinn.
Die Ergebnisse bei Wind und Solar sind genauso merkwürdig wie bei Wasserkraft. Der aus diesen Quellen erzeugte Strom wird nämlich als Primärenergie definiert.
Strom ist aber keine Primärenergie, sondern Sekundärenergie. Strom bewirkt Arbeit, Brennstoffe nur Wärme. Das muss man unterscheiden.
Die Primärenergie nach Wirkungsgradmethode ist aufgrund solcher Fehler eine ungeeignete Metrik, um Effizienzsteigerungen direkt zu messen.
Quellen
- Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 Ariadne (2021)
- klimaneutrales Deutschland 2045 Agora Energiewende (2021)
- Klimapfade 2.0 BDI (2021)
- Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität DENA (2021)
- Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland BMWi (2021)
- Importe als Stromäquivalente – wie viel Strom inländisch zur Substitution erzeugt werden müsste
- 600 TWh EE-Strommenge laut § 4a Erneuerbare-Energien-Gesetz (2023)
- Substitution angerechnet mit Primärenergiefaktor 2,5
- 750 TWh Stromverbrauch, errechnet mit 80% EE-Anteil und 600 TWh EE-Strommenge § 1 Erneuerbare-Energien-Gesetz (2023)
- Substitution angerechnet mit Primärenergiefaktor 2,5
- Energie in Zahlen AG Energiebilanzen (2019)
- Energy Flow Charts Lawrence Livermore National Laboratory (2019)