Deutschlands CO2-Budget: Ist das Pariser Klimaziel noch erreichbar?

Deutschlands CO2-Budget um die Erderwärmung noch auf 1,5°C zu begrenzen ist seit 2021 verbraucht. Schaffen wir es trotzdem noch die Klimakrise zu vermeiden?

Am 20. August 2021 haben wir das deutsche CO2-Budget für 1,5°C Erderwärmung erschöpft.

Jede CO2-Emission Deutschlands über unser Budget hinaus geht auf Kosten anderer Länder.

Insbesondere nehmen wir Entwicklungsländern ihre Emissions-Budgets weg, ohne dass die sich wehren können.

Zugegeben, 1,5°C Erderwärmung ist das Maximalziel des Pariser Übereinkommens. Aber auch unser Budget für das Minimalziel von ca. 1,7° Erderwärmung haben wir bereits zu zwei Dritteln verbraucht.

Wir müssen unsere CO2-Emissionen deutlich schneller verringern als in den letzten Jahren. Sonst wird unser 1,7°C-Budget im Jahr 2024 aufgebraucht sein.

Deutschland ist also auf dem besten Wege gegen das Unter-Zwei-Grad-Ziel des Pariser Übereinkommen zu verstoßen.

Lässt sich das noch verhindern und wenn ja wie?

Deutschlands CO2-Budget für 1,5°C Erderwärmung ist schon verbraucht

Das CO2-Budget um unter 1,5°C Erderwärmung zu bleiben mit einer Wahrscheinlichkeit von 83% betrug am 1. Januar 2016 rund 444 Gigatonnen für die ganze Welt.1

Den ersten Januar 2016 verwendet man deshalb als Bezugspunkt, weil am 12. Dezember 2015 das Pariser Übereinkommen mit dem Ziel von möglichst nicht mehr als 1,5°C Erderwärmung unterzeichnet wurde.

Deutschlands damalige Bevölkerung von 82 Millionen Menschen standen davon 4,9 Gigatonnen zu, bei einer Weltbevölkerung von damals 7.464 Millionen Menschen.

Von unseren 4,9 Gigatonnen hatten wir bis zum 1. Januar 2021 bereits 4,4 Gigatonnen ausgestoßen.234 Rein rechnerisch war unser CO2-Budget für 1,5°C am 20. August 2021 nachts um 2:09 Uhr erschöpft.

Wenn jedes Land ein so großer Klimasünder wie Deutschland wäre, dann wäre das 1,5°C-Ziel bereits heute verfehlt. Die Deutschen stoßen im Ländervergleich mit am meisten CO2 pro Kopf aus.

Deutschlands CO2-Budget für 1,7°C Erderwärmung verbrauchen wir 2024

Für das Ziel von 1,7°C Erderwärmung mit 83% Wahrscheinlichkeit lag das ursprüngliche CO2-Budget im Januar 2016 bei rund 694 Gigatonnen. Davon standen Deutschland nach Bevölkerung 7,6 Gigatonnen zu. Bis zum 1. Januar 2021 haben wir genau zwei Drittel davon verbraucht.

2021 soll der Treibhausgas-Ausstoß Deutschlands laut einer Prognose von Agora Energiewende um 47 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gegenüber 2020 ansteigen.5

Auch 2022 und 2023 wird der CO2-Ausstoß Deutschlands durch den klimaschädlichen Atomausstieg um je 35 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zusätzlich ansteigen. (Die Stilllegung von 6 Kernkraftwerken entspricht rund 70 Millionen Tonnen zusätzlichen CO2-Emissionen pro Jahr)

Falls es uns gelingt 2022, 2023 und 2024 die CO2-Emissionsminderung vor Corona von rund 12 Millionen Tonnen pro Jahr im Fünfjahresmittel (2014-2019) beizubehalten, wird Deutschlands CO2-Budget für 1,7°C im Jahr 2024 aufgebraucht sein.

Selbst das aktuell noch rund doppelt so große deutsche CO2-Budget für 2°C Erderwärmung wird voraussichtlich im Jahr 2029 aufgebraucht sein, außer wir schaffen es unsere lächerlichen Klimaschutz-Anstrengungen massiv zu steigern.

CO2-Budget pro Kopf in Deutschland für Pariser Klimaziele

Wenn man die Pariser Klimaziele mit 83% Wahrscheinlichkeit erreichen will, dann bleibt jedem Deutschen ab dem 1.1.2022 nur noch ein CO2-Budget von 29,5 Tonnen.

29,5 Tonnen pro Kopf sind sehr wenig, wenn man bedenkt, dass im Jahr 2021 jeder von uns im Mittel etwas mehr als 10 Tonnen CO2 ausstoßen wird, nach der Prognose von Agora Energiewende.

Das zeigt auch ein für alle Mal, dass individuelle Klimaschutz-Maßnahmen viel zu geringe Effekte haben für effektive CO2-Reduktionen. Auf Nullemissionen kommen wir damit auch nicht.

Das einzige was unsere Gesellschaft dekarbonisieren kann, sind politische Klimaschutzmaßnahmen und zwar besser vorgestern als heute.

Oder willst du etwa versuchen den Rest deines Lebens mit nur 3 Jahresvorräten an Energie, Lebensmitteln, Dienstleistungen und Produkten zu bestreiten?

CO2-Emissionsminderungen für das Ziel 1,7°C Erderwärmung

1,7°C werden üblicherweise als Ziel des Pariser Übereinkommens gesehen. Dort heißt es “Begrenzung auf weit unter 2 Grad Erderwärmung”. Leider sind die in Deutschland nötigen CO2-Reduktionen für das 1,7-Grad-Ziel absolut unrealistisch.

In den 5 Jahren vor Corona (2014-2019) haben wir unseren CO2-Ausstoß um rund 12 Millionen Tonnen pro Jahr gesenkt. Wenn das so weiter geht, sind wir erst im Jahr 2096 bei Nullemissionen und stoßen bis dahin 13 Mal so viel aus wie wir für das 1,7-Grad-Ziel dürfen.

Mit den Maximalzielen aus dem Wahlprogramm der grünen Partei6 kommt man auf rund 20 Millionen Tonnen CO2-Reduktion pro Jahr. 7 Gehen wir einmal großzügig von 25 Millionen Tonnen Reduktion aus. Damit wären wir erst im Jahr 2058 bei Nullemissionen und würden 6 Mal so viel CO2 emittieren, wie wir für das 1,7-Grad-Ziel dürfen.

Wenn wir Deutschlands CO2-Emissionsziele für 1,7°C Erderwärmung noch erreichen wollen, müssen wir unseren CO2-Ausstoß massiv senken um rund 140 Millionen Tonnen pro Jahr. Das ist rund das zwölffache der aktuellen Reduktionen.

Selbst im Corona-Jahr 2020 lag die vorübergehende Emissionssenkung durch Lockdowns und Wirtschaftskrise nur bei 67 Millionen Tonnen. Das ist nur gut die Hälfte von dem was wir brauchen. Und die Lockdowns lassen sich unmöglich wiederholen, ohne Deutschland gegen die Wand zu fahren.

Eine Erreichen des deutschen 1,7°C-Ziels allein durch Senkung der CO2-Emissionen ist also praktisch ausgeschlossen.

Negative Emissionen helfen das 1,7-Grad-Klimaziel zu erreichen

Eine Lösung für das CO2-Dilemma ist es in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu viel ausgestoßene CO2-Emissionen wieder aus der Atmosphäre zurück zu holen.

Solche negativen Emissionen werden auch vom Weltklimarat als Kompensation vorgeschlagen. Je mehr das CO2-Budget gerissen wird, desto mehr CO2 müssen wir zurückholen.8

Negative Emissionen sind deutlich teurer und aufwändiger als das Vermeiden von Emissionen.9 Egal wie teuer negative Emissionen sind: Wir haben mit dem Klimaschutz zu lange gewartet und keine Wahl mehr.

Trotz negativer Emissionen müssten wir unsere bisherigen Anstrengungen etwa vervierfachen. Wir wären damit bis 2041 auf Nullemissionen und würden bis dahin rund 8.348 Millionen Tonnen ausstoßen. Davon müssen wir bis zum Jahr 2100 rund 5.865 Millionen Tonnen wieder aus der Atmosphäre holen.

Negative Emissionen sind die einzige realistische Möglichkeit, wie wir national noch unser CO2-Budget für 1,7°C Erderwärmung einhalten können. Trotzdem ist die einzige skalierbare Möglichkeit negativer Emissionen Carbon Capture and Storage in Deutschland faktisch verboten. 10

International gesehen, könnten wir Entwicklungsländern deren Emissions-Budgets abkaufen. Klingt unfair, aber immer noch besser wir zahlen für unsere Budget-Überschreitungen als wenn wir nicht dafür zahlen…

Laufzeitverlängerung statt Atomausstieg für Pariser Klimaziele

Je früher man Emissionen senkt, desto besser. Um so klimaschädlicher ist es, dass Deutschland in den nächsten 1,5 Jahren ohne Not aus der klimafreundlichen Kernkraft aussteigen will. Dadurch erhöhen sich die CO2-Emissionen bis 2023 erst einmal deutlich.

Eine Laufzeitverlängerung der 6 verbleibenden Kernkraftwerke auf für Leichtwasserreaktoren normale 60 Jahre Gesamtlaufzeit würde 70 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen, wenn man stattdessen Braunkohle stilllegt.

Bis zu ihren endgültigen Stilllegungen ab dem Jahr 2045, könnten unsere 6 AKW gut 1000 Millionen Tonnen CO2 vermeiden. Das ist mehr als ein Drittel unseres noch verbleibenden CO2-Budgets für das 1,7-Grad-Ziel ab dem 1.1.2022.

Wir sind einer der schlimmsten Klimasünder der Welt und auf dem besten Weg die Pariser Klimaziele zu verfehlen. Trotzdem legen wir als einziges Land der Welt vorzeitig unsere sauberen und sicheren Kernkraftwerke still.

Mit Kernkraft und CCS haben wir jetzt 2 der 4 vom Weltklimarat bevorzugten Technologien verboten. Vermutlich steigen wir demnächst noch aus Wind oder Solar aus, damit wir 3 von 4 verboten haben. Ist schließlich noch nicht unmöglich genug, oder?

Reduktions-Prognosen: Die Energiewende wird immer schwerer

Diese Szenarien hier mit einer linearen Reduktion der CO2-Emissionen sind natürlich unterkomplex. Es wäre naiv zu erwarten, dass die Dekarbonisierung so einfach bleibt wie heute. Die niedrig hängenden Äpfel sind schon geerntet.

Der Stromsektor ist am einfachsten zu dekarbonisieren und selbst da kommen wir ins Stocken. Beim Ausbau der Erneuerbaren sind die besten Standorte und einfachsten Maßnahmen ausgelotet. Steigende Systemkosten von Wind und Solar bei weiterem Ausbau kommen dazu.

Je mehr wir Wind und Solar ausbauen, desto weniger bringt der Ausbau. Nullemissionen im Stromsektor erreichen wir mit Wind und Solar überhaupt nicht, egal wie viel wir ausbauen. Uns steht deshalb der große und extrem teure Systemwechsel von fossilen Brennstoffen als Backup hin zu Wasserstoff bevor. Mit der Wasserstoffwirtschaft haben wir aber noch nicht einmal angefangen.

Auch beim Wärmesektor und vor allem beim Transportsektor stecken wir quasi noch in den Startlöchern fest. Die Sektorkopplung wird noch eine enorme Herausforderung.

In Zukunft wird die Energiewende tendenziell immer teurer und langsamer werden. Die Szenarien oben sind insofern noch sehr optimistisch, auch wenn es sich nicht so anhört.

Was sind die Ziele des Übereinkommens von Paris?

Wir entfernen uns immer mehr vom Übereinkommen von Paris von 2015. Als dessen Ziel wurde “weit unter 2°C Erderwärmung”11 festgehalten.

Diese Formulierung wird manchmal als 1,5°C aber meistens als 1,7°C interpretiert. Unser 1,5-Grad-Ziel haben wir sowieso schon verfehlt. Deshalb betrachte ich hier vor allem das 1,7-Grad-Ziel.

Für das Ziel von 1,7°C Erderwärmung, werden wir unser Budget im Jahr 2024 erschöpft haben, wenn unser CO2-Ausstoß pro Jahr nicht deutlich schneller sinkt als in den letzten Jahren.

Es ist nicht nur Deutschland. Die allermeisten Industrieländer haben große Probleme die Ziele des Pariser Übereinkommens zu erfüllen.

Dabei gilt laut Pariser Übereinkommen das Prinzip “gemeinsamer aber differenzierter Verantwortlichkeiten”. Das soll heißen, dass Industrieländer mit ihren hohen historischen Emissionen eigentlich überkompensieren müssten. Deutschland ist historisch gesehen der viertschlimmste Klimasünder.

Es gibt auch einige deutlich klimafreundlichere Industrieländer als Deutschland, die wir uns als Vorbild nehmen könnten, z.B. Norwegen, Schweden oder Frankreich.

Der Kohlenstoffkreislauf: Gibt es überhaupt ein festes Klima-Budget?

CO2 wird nicht nur ausgestoßen, sondern auch wieder gebunden. CO2-Quellen und CO2-Senken hielten sich seit etwa 3 Millionen Jahren ungefähr das Gleichgewicht.

Erst zusätzliche menschengemachte CO2-Quellen durch Verbrennung von fossilen Brennstoffen bringen den Kohlenstoffkreislauf seit etwa 150 Jahren aus dem Gleichgewicht.

Obwohl das Gleichgewicht gestört ist, werden weiterhin enorme Mengen von CO2 aus der Luft durch das Meer, Pflanzen und Böden absorbiert. Der CO2-Zyklus entspricht quasi dem Wasser in einer Badewanne mit einem Loch. Wenn wir kein Wasser mehr nachlaufen lassen, ist die Badewanne irgendwann leer.

Leider ist es nicht ganz so einfach wie die Badewanne, weil das Volumen des pro Jahr gebundenen CO2s von der Luftkonzentration abhängt. Bisher stieg die Absorption von CO2 mit steigender Konzentration. Das Loch der Badewanne vergrößert sich also mit der Wassermenge. Aber es gibt auch Sättigungseffekte.

Ein festes CO2-Budget ist in einem solchen Kreislauf auf jeden Fall gar nicht möglich. CO2-Budgets sind aber trotzdem eine weitgehend zutreffende Vereinfachung und für unsere Zwecke hier mehr als ausreichend.

Der Weltklimarat bezieht schließlich all diese gegenläufigen Effekte bei der Berechnung von CO2-Budgets ein. Sogar Rückkopplungen sind seit dem AR6 (2021) endlich berücksichtigt. Der SR 1.5 (2018) ignorierte die Rückkopplungen noch.

Der Weltklimarat berücksichtigt natürlich auch andere Treibhausgase außer CO2. Die machen immerhin rund ein Viertel des weltweiten Treibhausgaseffekts aus. Es wird bei den Budget-Berechnungen davon ausgegangen, dass diese Treibhausgase relativ zum CO2 reduziert werden.

Fazit zum CO2-Budget für die Pariser Klimaziele

Deutschland hat sein CO2-Budget für 1,5°C Erderwärmung bereits ausgeschöpft. Auch die Budgets für 1,7°C und 2,0°C werden in den nächsten Jahren überschritten werden.

Um das zu verhindern brauchen wir deutlich effektivere Klimaschutzmaßnahmen. Selbst die Maximalziele im Wahlprogramm der grünen Partei sind viel zu niedrig angesetzt.

Quellen

  1. Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change Working Group I Summary for Policymakers (2021)
  2. Jährliche CO2-Emissionen Umweltbundesamt (2021)
  3. plus Emissionen für LULUFC, internationalen Flugverkehr & Deutschlands Anteil am internationalen EU-Schiffsverkehr Eurostat (2021)
  4. plus Handelsemissionen Our World in Data (2020)
  5. Abschätzung der Klimabilanz Deutschlands für das Jahr 2021 Agora Energiewende (2021)
  6. Grünes Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 Die Grünen (2021)
  7. Was kostet Klimaschutz? Critical Climate Action (2021)
  8. Evolution and break down of global anthropogenic CO2 emissions until 2100. IPCC SR1.5 (2018)
  9. Annahme für die Berechnungen hier ist, dass negative Emissionen rund zehn mal so schwer zu erreichen sind, wie Emissionsminderungen
  10. Neuer Anlauf für die Speicherung von CO2 Handelsblatt (2018)
  11. The Paris Agreement UNFCC (2016)

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