Energie soll versorgungssicher, bezahlbar und umweltfreundlich sein. Aber unter uns: Priorität hat die Versorgungssicherheit!
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Die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat einen Realitätscheck für die Energiepolitik versprochen:
„Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit müssen wieder ins Zentrum unseres Handelns rücken“ sagte sie in ihrer Antrittsrede im Bundestag.
„Erneuerbare Energien allein können jedoch eine Industrienation wie Deutschland nicht zuverlässig und zu bezahlbaren Preisen mit Energie versorgen“.
So kritisiert Reiche die starke Subventionierung von Wind und Solar unter Vernachlässigung von Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit.
Laut dem energiepolitischen Zieldreieck sind Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit gleichrangige Ziele.
Aber stimmt das überhaupt? Wollen wir Strom wirklich nur dann, wenn er auch umweltfreundlich ist oder gibt es eine Hierarchie?
Energiesicherheit hat die höchste Priorität
Lass uns ein Gedankenexperiment machen, um übliche Vorlieben bei der Stromversorgung herauszufinden:
Stell dir vor, dein Strom ist bezahlbar und versorgungssicher, aber stammt aus klimaschädlichen Gaskraftwerken. Wäre das ein KO-Kriterium?
Im nächsten Schritt ist dein Strom versorgungssicher und klimafreundlich, aber stammt aus teuren Geothermie-Kraftwerken. Dealbreaker?
Im letzten Schritt ist dein Strom günstig und klimafreundlich, aber nur tagsüber verfügbar wenn die Sonne scheint. Geht das in Ordnung?
Anekdotisch scheint die dritte Variante am wenigsten beliebt zu sein. Versorgungssicherheit ist vielen von uns wichtiger als andere Faktoren.
Kraftwerksreserve: Bundesnetzagentur priorisiert Versorgungssicherheit
Auch die Bundesnetzagentur, die für unsere Stromversorgung verantwortlich ist, hat eine klar erkennbare Priorität: Versorgungssicherheit!
Immer wenn ein Kohlekraftwerk stillgelegt werden soll, aber die Versorgungssicherheit gefährdet sein könnte, wird es in die Reserve überführt.
Wir bezahlen dann mit den Netzentgelten dafür, dass ein klimaschädliches Kraftwerk im Notfall wieder ans Netz geht, um uns mit Strom zu versorgen.
Die Versorgungssicherheit sticht in diesem Beispiel ganz konkret sowohl die Kostenminimierung als auch den Klima- und Umweltschutz.
Die energiepolitische Zielhierarchie lässt sich aber nicht nur anhand von Beispielen belegen, sondern auch durch mehrere Umfragen.
1. Umfrage: Ist das energiepolitische Zieldreieck eine Zielhierarchie?
Aber was ist der zweitwichtigste Faktor nach der Versorgungssicherheit: Kosten oder Umweltschutz?
Es gibt zwei interessante Datenpunkte in Form von repräsentativen Umfragen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY.1
In der 1. Umfrage vom März 2023 wählten 45% der Befragten „Versorgungssicherheit“ als wichtigsten Faktor, knapp gefolgt von der „Preisgünstigkeit“ mit 38% und dem „Umwelt-/Klimaschutz“ mit 17% weit abgeschlagen.
Die 2. Umfrage fand nur vier Monate später statt. Der Energiekrisen-Winter war vorbei und der Schock der mit 250€/MWh extrem hohen Spotmarktpreise im Dezember verdaut.
Nun war die „Versorgungssicherheit“ mit 61% wieder klar der wichtigste Faktor. Die „Preisgünstigkeit“ war etwa gleichauf mit dem „Umwelt- und Klimaschutz“.
Wenn also konkret sehr hohe Energiepreise ins Haus stehen, dann können die Kosten fast zum wichtigsten Faktor werden. Ansonsten sind sie klar an zweiter oder gar dritter Stelle.
2. Umfrage unter Energiefachleuten: Energiesicherheit oberste Priorität
Eine zweite Umfrage, diesmal unter 1.400 Energiefachleuten weltweit, ergibt ebenfalls eine Priorität bei der Versorgungssicherheit.
Mit 38% liegt „Secure and Reliable“ als Ziel vor „Clean and Sustainable“ mit 35% und schließlich „Accessible and Affordable“ mit 27%.2
Für die Experten ist also der Kostenfaktor das unwichtigste der drei Ziele im Energiedreieck. Na gut, die müssen ja auch nicht dafür zahlen.
Interessanterweise glauben rund 90% der Fachleute, dass das Energie-Trilemma in den nächsten Jahrzehnten aufgelöst werden kann.
Das würde bedeuten, dass wir sowohl versorgungssichere als auch günstige als auch umweltfreundliche Energie haben werden.
Ich verstehe diesen Optimismus nicht. Umweltfreundliche Energie ist teurer als fossile, außer man macht Abstriche bei der Versorgungssicherheit.
Wenn umweltfreundliche Energie auch günstiger und versorgungssicherer wäre, dann gäbe es kein „Green Premium“ und wir müssten keinen Klimaschutz subventionieren.
3. Umfrage: International unterscheidet sich die Kosten-Priorität
Ein weiterer Datenpunkt ist eine internationale Umfrage der Radiant Energy Group aus dem Jahr 2024, 2 Jahre nach den hohen Preisspitzen der Energiekrise. 3
Hier wurde nach den 3 wichtigsten Zielen gefragt. Deutschland war das Land mit der größten Priorität auf den Kostenfaktor mit 37% im Vergleich zu einem Durchschnitt von 22% in 27 Ländern.
Man könnte meinen, dass Deutsche einfach geizig sind. Es ist aber auch so, dass wir in Deutschland mit die höchsten Strompreise der Welt haben.
Norwegen hat im Gegensatz dazu von allen EU-Ländern die niedrigsten Strompreise und dort wird von allen EU-Ländern auch das Kostenproblem mit nur 16% am unwichtigsten empfunden.
Es ist ganz natürlich, dass Menschen, die bereits von hohen Energiepreisen betroffen sind, den Kostenfaktor eher als Problem sehen. Das Kostenproblem korelliert mit den tatsächlichen Kosten.
6 weitere mögliche Ziele der Energiepolitik?
Gibt es nur 3 energiepolitische Ziele oder haben wir eine ganze Pyramide analog zu Maslows Bedürfnishierarchie?
In der Umfrage von Radiant Energy wurden 1.000 deutsche Teilnehmer nach insgesamt 9 Zielen gefragt:
- 48% Providing reliable energy
- 41% Health & safety
- 39% Tackling climate change
- 37% All-in cost
- 29% Natural resource use
- 25% Providing self-sufficiency
- 20% Well regulated industry
- 18% Waste management
- 16% Well-paid job opportunities
Sicherheit für Leib und Leben ist den Befragten sehr wichtig, gleich an zweiter Stelle nach Versorgungssicherheit. Ist das Zieldreieck etwa ein Zielviereck?
Die Ressourcennutzung an 5. Stelle ist den Menschen weniger wichtig, wobei dies sowieso nur ein Aspekt des Umweltschutzes ist.
Ebenfalls weniger wichtig ist den Befragten die Importunabhängigkeit an der 6. Stelle, welche sowieso nur ein Aspekt der Versorgungssicherheit ist.
Gut bezahlte Arbeitsplätze und die Entsorgung von Abfällen sind den Befragten relativ egal. Auch dies sind wieder nur Aspekte von Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz.
Dazu muss man wissen: Die Umfrage zielte stark auf die Stimmung zur Kernenergie ab. AKW haben im Vergleich aller Energiequellen die höchste Sicherheit, niedrigste Ressourcennutzung und eine vollumfängliche Entsorgung.
2 weitere Ziele laut Energiewirtschaftsgesetz
Auch das deutsche Energiewirtschaftsgesetz beschränkt sich nicht nur auf 3 Ziele:
„Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente, umweltverträgliche und treibhausgasneutrale leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität, Gas und Wasserstoff, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht.“
§1 Abs.1 Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG)
Die Ziele laut Energiewirtschaftsgesetz sind in dieser Reihenfolge:
- sicher
- preisgünstig
- verbraucherfreundlich
- effizient
- umweltverträglich
- treibhausgasneutral
1., 2. und 5./6. kennen wir bereits.
Wenn man die Reihenfolge als Indiz nehmen kann, dann ist auch hier der Schwerpunkt auf „sicher“. Es ist aber nicht klar, ob versorgungssicher oder unschädlich gemeint ist.
Dass Energie auch verbraucherfreundlich verfügbar sein muss, ist nur ein Aspekt der Wirtschaftlichkeit. Wenn die nächste Tankstelle 100 Kilometer entfernt ist, verursacht das zusätzliche Kosten.
Effizienz als Ziel ist merkwürdig, da sich weder Verbraucher noch Anbieter darum scheren. Wenn das wirklich ernst gemeint wäre, dann müssten wir uns von allen Wasserstoff-Plänen verabschieden.
Fazit: Nicht alle energiepolitischen Ziele sind gleichwertig
Es scheint 4 wichtige Anforderungen an die Energieversorgung zu geben:
- versorgungssicher
- unschädlich
- wirtschaftlich
- umweltschonend
Versorgungssicherheit genießt in der Energiepolitik unter allen Akteuren die höchste Priorität.
Die Verhinderung von Gesundheitsschäden, niedrige Kosten und der Umweltschutz folgen danach.
Wie Kosten und Umweltschutz untereinander gewichtet werden, hängt sehr davon ab, wie teuer die Energie schon ist.
In Deutschland sind die Energiepreise bereits sehr hoch, deshalb nehmen wir Umweltschäden eher in Kauf.
In Ländern mit niedrigeren Energiekosten gibt es noch Spielraum bei den Preisen und der Umweltschutz genießt mehr Priorität.
Quellen
- EY-Energie Radar EY (2023)
- Industry Insights DNV (2023)
- Public Attitudes toward Clean Energy Radiant Energy Group (2024)