Der Energiemix wird sich bis 2050 ändern, aber nicht so stark wie man denken sollte. Wie sieht die Energieversorgung der Zukunft aus?
Inhalt
Deutschland will klimaneutral bis 2045 sein. Deutschlands Klimaziele sind extrem ambitioniert um nicht zu sagen unrealistisch.
Egal ob Deutschland Net Zero schafft oder nicht: In den nächsten Jahrzehnten wird es global keine Nullemissionen geben.
Wir werden auch im Jahr 2050 noch viele fossile Brennstoffe verbrennen – sogar kaum weniger als heute.
Auch der Energieverbrauch wird weiter steigen. In den kommenden Jahrzehnten, ist der Energiezuwachs kaum geringer als bisher.
Wie sieht der globale Energiemix 2050 realistischerweise aus?
Energiemix 2050: ungebrochene Dominanz fossiler Energieträger
Auch im Jahr 2050 werden klimaschädliche fossile Brennstoffe und Biomasse den Weltenergieverbrauch dominieren mit immer noch fast zwei Dritteln Anteil:
- 20% Erdöl
- 12% Kohle
- 19% Erdgas
- 10% Biomasse
- 4% Kernkraft
- 6% Wasserkraft
- 13% Solar
- 11% Wind
- 7% Sonstige
Zahlen nach Substitutionsprinzip – (faire Betrachtung der Abwärme für Erneuerbare)
Das sind Durchschnittswerte aus drei Szenarien, die die aktuelle Politik aller Länder (Current Policies) in die Zukunft fortschreiben.1 2 3
Diese Current-Policies-Szenarien werden die Erderwärmung wahrscheinlich auf unter 2,5°C bis 2100 limitieren.
Energiemix 1900 bis 2020: Zusatz statt Ersatz
In der Vergangenheit kam jede neue Energiequelle zusätzlich zu den vorhandenen hinzu:
- bis 1850 gewannen wir Energie aus der Biomasse-Verbrennung (v.a. Holz)
- ab 1850 wurde zusätzlich Kohle verbrannt
- ab 1920 wurde zusätzlich Erdöl verbrannt
- ab 1930 wurde zusätzlich Erdgas verbrannt
- ab 1960 wurde zusätzlich Wasserkraft genutzt
- ab 1970 wurde zusätzlich Kernkraft genutzt
- ab 2010 wurden zusätzlich Wind & Solar genutzt
Keine Energiequelle wurde in der Geschichte jemals durch eine andere ersetzt. Jede neue Energiequelle erhöhte einfach nur den Weltenergieverbrauch.
Die neuen Energiequellen kamen nicht nur hinzu, die alten wuchsen weiter. Wir verbrennen immer noch mehr Holz als 1850 und immer noch deutlich mehr Kohle als 1920.
Das soll sich in Zukunft erstmals in der Geschichte der Menschheit ändern.
Energiemix 1960 bis 2050: Zukunftsenergien Wind & Solar
Laut dem Schnitt der oben genannten 3 Energieprognosen gelingt es von 2020 bis 2050 etwa ein Drittel der Kohleverbrennung zu ersetzen:
- -3% Erdöl
- -35% Kohle
- +16% Erdgas
- +40% Biomasse
- +38% Kernkraft
- +29% Wasserkraft
- +1029% Solar
- +484% Wind
- +550% Sonstige
Das geschieht vor allem durch eine Verfünffachung von Wind und eine Verzehnfachung von Solar. Natürlich starten sowohl Wind mit 2,4% als auch Solar mit 1,5% des Weltenergieverbrauchs in 2020 auf einem sehr niedrigen Niveau.
Anteilig werden die sauberen Energiequellen Wasserkraft, Kernkraft, Wind und Solar sich sogar mehr als verdoppeln, von heute 14% auf 34% in 2050. Der steigende Energieverbrauch frisst aber viele der Zugewinne in absoluten Zahlen wieder auf.
Energieverbrauch nimmt in Zukunft weiter zu
Der Energieverbrauch steigt seit 1950 stark und fast linear an. Dieser Trend bleibt laut der 3 Energieprognosen auch in Zukunft weiter bestehen.
Getrieben wird das Energiewachstum seit den Nuller Jahren aber nicht mehr von den entwickelten OECD-Ländern, sondern vom globalen Süden.
Bis zum Jahr 2050 wird der Energieverbrauch in OECD-Ländern sogar um gut 10% sinken. Das wird aber durch Entwicklungs- und Schwellenländer mehr als wettgemacht.
3 Milliarden Menschen haben heute nicht einmal Zugang zu sauberer Energie zum Kochen. Laut WHO ist das eine der größten Gesundheitsgefahren weltweit mit 3,8 Millionen Todesfolgen pro Jahr.4
Auch das nötige Wirtschaftswachstum, um der Armut zu entkommen, benötigt viel Energie. China hat das in den letzten Jahrzehnten vorgemacht.
Die Prognosen gehen aber auch 2050 immer noch von einem armen afrikanischen Kontinent aus. Wachstum bei Energie und Wohlstand wird es demnach vor allem in Indien und anderen asiatischen Schwellen- und Entwicklungsländern geben.
Klimaziele: Current Policies vs Worst Case
Die Weltklimarat-Bericht lesen sich sehr konservativ. Eine große Ausnahme davon ist allerdings die Überrepräsentation des Worst Case-Szenarios RCP 8.5
RCP 8.5 geht von einer Versechsfachung der Kohleverbrennung aus.5 Deutlich mehr als 4°C Erderwärmung seit Beginn der Industrialisierung wären die Folge. Es gibt niemanden, der das für realistisch hält. Und trotzdem gilt RCP 8.5 oft als Referenz-Szenario.
Auch das nächste Szenario RCP 7.0 mit Begrenzung auf unter 4°C Erderwärmung ist extrem unwahrscheinlich. Es beschreibt einen ungebremsten Klimawandel. Das widerspricht aber der Benennung der entsprechenden Kategorie C7 in “Current Policies” (CurPol). 6
Tatsächlich landet man mit aktueller Politik in der Kategorie C5 des Weltklimarats, also die RCP-3.4-Szenarien.7 Diese begrenzen die Erderwärmung auf unter 2,5°C!
Wenn die Staaten der Welt nicht nur aktuelle Politik umsetzen, sondern auch Zusicherungen zum Pariser Abkommen, landen sie sogar in der C3-Kategorie des Weltklimarats mit unter 2°C Erderwärmung.
2-Grad-Ziel: Energiegewinnung für mehr Klima-Ambitionen
Können wir unter 2°C Erderwärmung bis 2100 bleiben? Sowohl IEA als auch BP modellieren das in entsprechenden Szenarien. Dabei werden die Zusagen nach Pariser Klimaübereinkommen für bare Münze genommen.
Möglich wird das 2°-Ziel durch eine nochmalige Verdoppelung des Zubaus von Wind und Solar gegenüber den Current-Policies-Szenarien:
- -44% Öl
- -81% Kohle
- -38% Gas
- +73% Biomasse
- +60% Kernkraft
- +43% Wasserkraft
- +1832% Solar
- +988% Wind
- +553% Sonstige
IEA Announced-Pledges (APS) und BP (Accelerated) sind äußerst ambitionierte, aber noch halbwegs realistische Szenarien. Sie sind vergleichbar mit SSP 1-2.6 oder IMP-GS vom IPCC. Die Erderwärmung würde auf unter 2,0°C begrenzt werden.
Für das 2°C-Ziel reichen allerdings laut IEA World Energy Outlook schon die projektierten Kupfer- und Lithiumfördermengen nicht mehr aus und es fehlen Fertigungskapazitäten für Wärmepumpen – trotz weiteren Zubaus.
1,5-Grad-Ziel: Energiegewinnung für Net Zero bis 2050
Alle 3 Studien haben für das 1,5°-Ziel außerdem ein Net-Zero-Szenario bis 2050. Eine Erhöhung des Wind- und Solarausbaus reicht nun nicht mehr. Vielmehr sind enorme Investitionen in Speichertechnologien wie Wasserstoff und Batterien nötig und in negative Emissionstechnologien wie Carbon Capture.
Nur wenige dieser Technologien sind bisher fertig entwickelt, geschweige denn marktreif. Vor allem Wasserstoffinfrastruktur und Carbon Capture müssten massiv subventioniert werden.
Beim 1,5°-Ziel verstärkt sich laut IEA WEO der Mangel an Kupfer und anderen Rohstoffen. Es kommen zusätzliche Engpässe bei der Fertigung von Batterien und Elektrolyseuren hinzu.
Es gibt aktuell keinen realistischen Pfad für Net-Zero bis 2050. Wir werden global das CO2-Budget für das äußerst ambitionierte 1,5°-Ziel schon in wenigen Jahren reißen – in Deutschland haben wir es schon gerissen.
Auch Szenarien, die die Übernutzung des Budgets durch CCS später im Jahrhundert zurückholen wollen, sind unwahrscheinlich.
Aber selbst wenn das 1,5°-Ziel tot ist, was ist mit dem 1,6°-Ziel oder dem 1,7°-Ziel? Jedes Hundertstel Grad Celsius zählt.
Energie der Zukunft: Warum so wenig Kernkraft?
Das Reißen vieler Klimaziele laut den Current-Policies-Szenarien liegt aber auch an der fehlenden Berücksichtigung eines Kernkraftausbaus in den Energieprognosen.
Es gibt laut Weltklimarat 4 saubere Energiequellen, die eine signifikante Rolle bei der Dekarbonisierung spielen können:
- Solar
- Wind
- Kernkraft
- Wasserkraft
Wasserkraft ist aktuell die bedeutendste klimafreundliche Energiequelle. Sie ist aber sehr von Standortfaktoren abhängig, mit beschränktem Ausbaupotential in vielen Ländern. Nur Solar, Wind und Kernkraft können massiv ausgebaut werden.
Und nur die Kernkraft ist regelbar und funktioniert ohne den enormen Ausbau von nicht marktreifen Speichertechnologien. Bestehende AKW müssen auch nicht nach wenigen Jahrzehnten ersetzt werden. Bisher wurde noch kein einziger Leichtwasserreaktor aus Altersgründen stillgelegt und das kann auch noch viele Jahrzehnte so bleiben.
Kernkraft-Ausbau: Ist eine Nukleare Rennaissance möglich?
Wir bauen bereits heute mehr Kernkraftwerke als die meisten der Energieprognosen erwarten. Laut Reaktor-Datenbank sind:8
- 437 Reaktoren am Netz mit 394 GW Leistung
- 59 Reaktoren im Bau mit 65 GW Leistung
- 100 Reaktoren in Planung mit 102 GW Leistung*
- 334 Reaktoren als Vorhaben mit 373 GW Leistung**
*in Planung heißt es gibt eine Genehmigung, Finanzierung oder einen Auftrag
**als Vorhaben heißt es gibt einen Standort oder ein Programm, aber keinen Zeitrahmen
Vorhaben klingt ein bisschen weit hergeholt, aber dazu gehören auch Projekte wie das in Polen, zu dem es bereits eine Ausschreibung gab und ein Anbieter ausgewählt wurde.
Die Reaktoren in Bau und Planung erhöhen die Atomstromerzeugung in den nächsten 10-15 Jahren um rund 50%. Wenn zusätzlich noch die Hälfte der Neubau-Vorhaben realisiert werden, dann haben wir eine annähernde Verdoppelung der Stromerzeugung aus Kernkraftwerken bis 2050. (bei 80% Kapazitätsfaktor) Das ist bereits mehr als in allen oben betrachteten Szenarien.
Und wir erwachen gerade erst aus einem jahrzehntelangen Tiefschlaf der Kernenergiebranche im Westen. Wenn wir eine nukleare Rennaisance beginnen, können wir Erfolge der Vergangenheit wiederholen. Frankreich hat in nur 15 Jahren Messmer-Plan den Großteil seines Stromsektors dekarbonisiert.
Der Messmer-Plan war eine Folge der Ölkrise 1973. Ähnliche Reaktionen auf den Ukrainekrieg gibt es bereits. Ja, es geht dabei um Energieunabhängigkeit. Aber genauso war das in Frankreich in den Siebzigern und trotzdem ist das Land heute deswegen Vorreiter beim Klimaschutz.
Ähnliche Entwicklungen bei der Kernkraft bis 2050 sieht der Nukeklaus.
Fazit Energiezukunft: Ohne Zeitenwende keine Klimaziele
Leider lässt sich mit Wind und Solar allein nicht das ambitionierte 1,5°-Ziel erreichen – weder vom techno-ökonomischen Potential noch von den sozio-politischen Rahmenbedingungen.
Nur mit Wind und Solar als Energiequelle der Zukunft, werden wir selbst in optimistischen Szenarien noch weit in der 2. Hälfte des 21. Jahrhunderts fossile Brennstoffe verbrennen.
Die Mitigation der letzten Prozente nur mit wetterabhängigen Erzeugern ist teuer und ungewiss. Wir setzen dabei auf unausgereifte Zukunftstechnologien wie Wasserstoff oder CCS.
Zusätzlich zum massiven Ausbau von Wind und Solar kann eine Zeitenwende mit ambitionierten Neubauprogramm für Kernkraftwerke die Dekarbonisierung beschleunigen und Kosten senken.9
Exkurs 1: Welche Energieprognosen gibt es?
Grundsätzlich gibt es mehr als nur die hier berücksichtigten 3 Energieprognosen:
- Feb. 2021: Shell Shell Scenarios
- Mrz. 2022: EIA International Energy Outlook
- Mrz. 2022: IRENA World Energy Transitions Outlook
- Nov. 2021: BNEF New Energy Outlook
- Sep. 2022: Equinor Energy Perspectives
- Okt. 2022: IEA World Energy Outlook
- Okt. 2022: BP Energy Outlook
- Nov. 2022: OPEC World Oil Outlook
(jeweils Aktualisierungsdatum – Stand Nov 2022)
Auch der Weltklimarat verwendet mit den SSP-Szenarien eine Vielzahl von Energieprognosen, die sogar bis ins Jahr 2100 gehen. Die sind allerdings von 2018 oder noch älter, siehe SSP Database.
Ressources for the Future hat eine tolle interaktive Meta-Übersicht über die meisten dieser Energieprognosen. Leider sind dort nur die 2021er Versionen eingepflegt.
Der Ukrainekrieg hat einiges durcheinander gewirbelt. Ich berücksichtige deshalb nur Energieprognosen, die im 2. Halbjahr 2022 erstellt wurden.
Exkurs 2: Warum ohne OPEC World Oil Outlook 2022?
OPEC World Oil Outlook 2022 wurde nach dem Ukrainekrieg aktualisiert, ist aber trotzdem nicht berücksichtigt.
Damit gibt es leider mehrere Probleme:
- ist das Endjahr 2045 statt 2050
- ist der CO2-Ausstoß bei Current Policies höher
- werden bei der Primärenergie alle Erneuerbare zusammengeworfen
- decken sich die Zahlen zur Stromerzeugung nicht mit denen der Primärenergie (Hydro & Nuclear)
Exkurs 3: Welche Harmonisierung ist nötig?
Die Szenarien von IEA und Equinor sind zur besseren Vergleichbarkeit auf Substitutionsprinzip umgerechnet. BP war schon auf Substitutionsprinzip.
Eine weitere Harmonisierung war nicht erforderlich. Die IST-Zahlen für 2019-2021 stimmen sehr gut überein. Einzige Ausnahme ist die Biomasse, vermutlich wegen der unterschiedlichen Berücksichtigung nicht am Markt gehandelter traditioneller Biomasse (v.a. Holz & Dung).
Quellen
- World Energy Outlook IEA (2022)
- Energy Perspectives Equinor (2022)
- Energy Outlook BP (2022)
- Air pollution compendium WHO (2022)
- IPCC baseline scenarios have over-projected CO2 emissions and economic growth Burgess et al (2020)
- Sixth Assessment Report WGIII Summary for Policymakers IPCC (2022)
- Plausible 2005–2050 emissions scenarios project between 2 °C and 3 °C of warming by 2100 Pielke et al (2022)
- World Nuclear Power Reactors & Uranium Requirements World Nuclear Association (2022)
- The Role of Firm Low-Carbon Electricity Resources in Deep Decarbonization of Power Generation Sepulveda et al (2018)