Blackout-Gefahr bis 2035? Warum das Stromausfall-Risiko steigt

Blackouts häufen sich: Texas, Kalifornien, Australien und England. Auch in Deutschland steigt das Stromausfall-Risiko.

Am 8. Januar 2021 stand Europa kurz vor einem schweren Blackout.

Das wird leider kein Einzelfall bleiben. Das Risiko für einen großen Stromausfall in Deutschland steigt seit Jahren.

2023 ist ein kritisches Jahr für die Blackout-Gefahr. Bis dahin fallen durch den Atomausstieg 8 Gigawatt gesicherte Leistung weg.

Auch nach 2023 erhöht sich das Blackout-Risiko fast jährlich durch den gestaffelten Kohleausstieg bis spätestens 2039.

Ein Blackout kann verheerende Folgen haben. Strommangellagen verursachen größere Schäden als selbst eine Pandemie wie Corona. 1 2

Noch wahrscheinlicher als Blackouts werden in Zukunft Brownouts, also lokale Stromausfälle. Das betrifft vor allem Süddeutschland mit seiner schon heutigen Unterdeckung an gesicherter Leistung.

Wie kommt es zum Stromausfall/Blackout?

Es muss im Stromnetz zu jedem Zeitpunkt genau so viel Elektrizität erzeugt werden, wie nachgefragt wird.

Zum Blackout kann es dann kommen, wenn dieses Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch gestört wird.

Das passiert zum Beispiel durch:

  • Netzstörungen
  • Kraftwerksausfälle
  • Marktmanipulationen
  • plötzliche Nachfragespitzen
  • plötzliche Leistungsspitzen

Dank der Reserven im Stromnetz reicht ein einziges Ereignis normalerweise nicht um einen Blackout hervorzurufen. Erst das Zusammenkommen mehrerer Ursachen führt zu einem Stromausfall.

Erkennbar wird ein drohender Blackout an der Frequenz im europäischen Verbundnetz. Je mehr das Gleichgewicht gestört ist, desto mehr weicht sie von 50 Hz ab.

Wenn eine zu hohe oder zu niedrige Netzfrequenz nicht schnell verhindert wird, schadet das der Infrastruktur. Dadurch können sich Teilnetze abspalten oder Erzeuger ausfallen und es kommt zu einem Dominoeffekt.

Wenn der Strom deutschlandweit ausfällt, kann es Wochen dauern zur Wiederherstellung der Stromversorgung. Die Schadenssummen und Zahlen der Todesopfer wären immens hoch. 3

Für die erhöhte und weiter steigende Blackout-Gefahr in Deutschland gibt es 6 hauptsächliche Risiken:

1. Blackout-Risiko: zu wenig gesicherte Leistung im Kraftwerkspark

Die gesicherte Leistung von Solarstrom ist null, weil nachts keine Sonne scheint. Die gesicherte Leistung von Windkraft ist nahezu null, weil eine Flaute meist ganz Deutschland betrifft. 4

Wenn sowohl Wind als auch Solar ausfallen spricht man von einer Dunkelflaute. Es reicht dazu schon, wenn nachts kein Wind weht. An grauen Wintertagen dauern solche Dunkelflauten mehrere Tage oder sogar Wochen, mit entsprechend hohem Blackout-Risiko.

Egal wie viel Solar und Wind man zubaut, es muss immer einen konventionellen Kraftwerkspark als Backup geben. Der muss die Spitzenlast in voller Höhe bewältigen können, auch während einer Dunkelflaute.

Durch Atomausstieg und Kohleausstieg wird in den nächsten Jahren aber ein Großteil dieser sicheren Kapazität vom Strommarkt genommen: 5

  • bis 2023 -12 GW
  • bis 2030 -25 GW
  • bis 2039 -42 GW

(kumuliert)

Am Ende des Jahres 2020 wurden bereits fast 5 GW Kapazität in der ersten Ausschreiberunde zum Kohleausstieg vom Netz genommen. 6

Einige dieser Kraftwerke mussten aber kurz nach dem Abschalten wegen mehrerer Dunkelflauten im Januar 2021 reaktiviert werden. 7

Aktuell haben wir noch 91 GW gesicherte Leistung in Deutschland. Bis 2023 wird die gesicherte Kapazität auf 82 GW fallen. Das entspricht genau der heute zu erwartenden Spitzenlast von rund 82 GW. Wenn wirklich alle Kraftwerke auch verfügbar sind, würde das gerade noch reichen.

Bis 2035 sieht der Netzentwicklungsplan nur noch eine gesicherte Leistung von 62 GW vor. Demgegenüber steht dann eine durch Sektorkopplung erhöhte Spitzenlast von 106 GW. Die Versorgungslücke beträgt also dann bereits 44 GW. 8

2. Blackout-Risiko: Lokale Versorgungslücken durch fehlenden Netzausbau

Selbst 82 GW gesicherte Leistung bei 82 GW Spitzenlast deutschlandweit reichen nur auf dem Papier. Wenn in Schleswig-Holstein Reserven vorhanden sind, die in Bayern gebraucht werden, dann sind schnell die Leitungen überlastet.

In Süddeutschland gibt es schon heute eine Versorgungslücke von 10 GW, die durch Importe aus Norddeutschland und Nachbarländern gedeckt werden muss. Mit dem Atomausstieg wächst diese Versorgungslücke bis 2023 auf 16 GW und mit dem Kohleausstieg bis 2035 auf 27 GW. 9 10

Entscheidend für die Versorgung von Nord- nach Süddeutschland ist der Netzausbau, insbesondere die geplanten Nord-Süd-Trassen mit Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ):

  • Ultranet zwischen Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg (statt Kernkraftwerk Philippsburg)
  • Südlink 1 zwischen Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg (statt Kernkraftwerk Neckarwestheim)
  • Südlink 2 zwischen Schleswig-Holstein und Bayern (statt Kernkraftwerk Gundremmingen)
  • Südostlink zwischen Sachsen-Anhalt und Bayern (statt Kernkraftwerk Isar)
  • A-Nord zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen

Der Bau dieser Stromautobahnen sollte eigentlich bis 2022 fertiggestellt sein, also rechtzeitig zum Atomausstieg. Der Ausbau ist aber um Jahre verzögert, auch wegen der vielen Bürgerklagen.

Wenn die 5 neuen Trassen fertig sind, können sie jeweils Strom mit 2 GW Leistung transportieren. Das hilft, kann aber nicht einmal die nach Fukushima abgeschalteten Kernkraftwerke in Süddeutschland ersetzen.

3. Blackout-Risiko: Klumpenrisiko beim Ausfall von Solar & Wind

Stell dir vor alle Kohlekraftwerke würden unerwartet und gleichzeitig ausfallen. Klingt unmöglich? Bei Wind und Solar passiert das regelmäßig wegen ihrem enormen Klumpenrisiko. Das Klumpenrisiko von Solar & Wind war ein Hauptgrund für die Blackouts in Kalifornien in 2019. 11

Wenn ein konventionelles Kraftwerk unerwartet ausfällt, sind das selten mehr als 1 Gigawatt Leistung. Wenn der Wind hingegen unerwartet schwach oder stark bläst, dann kann eine plötzliche Leistungsdifferenz von etlichen Gigawatt auftreten. Auch eine über Deutschland ziehende Wolkenfront sorgt für einen deutlichen kurzfristigen Spannungsabfall beim Solarstrom.

Netzbetreiber müssen häufig eingreifen um Leistungsrampen der fluktuierenden Erneuerbaren auszugleichen. Die Gesamtarbeit dieser sogenannten Redispatches hat sich seit 2010 etwa verzehnfacht von 1.758 GWh auf 15.643 GWh. 12 13 Mit einem weiteren Zubau von Wind und Solar wird man auch mehr nachregeln müssen.

Dieses Einspeisemanagement wirkt sich natürlich positiv auf die Versorgungssicherheit aus. Das in den letzten Jahren angeschwollene Volumen zeigt aber, wie wichtig die Korrekturen geworden sind um das Netz stabil zu halten. Und jeder Redispatch kann eine Fehlerquelle sein.

4. Blackout-Risiko: Fehlende Regelenergie bei hohem Anteil Solar & Wind

Nicht nur wenn Solar und Wind ausfallen, machen sie Probleme. Auch wenn zu viel Solar- und Windstrom im Netz sind, leidet die Versorgungssicherheit. Solaranlagen und Windräder stellen nämlich keine Regelenergie bereit.

Konventionelle Kraftwerke haben riesige Schwungmassen in ihren Turbinenhallen, die das Netz stabilisieren. Die großen rotierenden Massen sind synchron mit der Frequenz des Stromnetzes gekoppelt und arbeiten deshalb automatisch gegen Frequenzänderungen an.

Je mehr Wind und Solar am Netz sind, desto mehr stabilisierende Schwungmassen fehlen. Die Netzfrequenz wird durch den Wegfall dieser sogenannten Momentanreserve störanfälliger. Das Blackout-Risiko steigt.

Im August 2019 kam es in Großbritannien zu einem schweren Störfall mit rollierenden Blackouts, weil bei einem Stromanteil von rund 65% Windenergie zu wenig Momentanreserve im Netz war. 14

In Zukunft können Batteriespeicher Regelenergie für Wind und Solar bereitstellen. 15 Aktuell sind Akkus in Netzgröße wegen der enormen Kosten aber noch die Ausnahme.

Es kommt aktuell eher noch vor, dass konventionelle Kraftwerke wegen ihrer Schwungmasse durchlaufen, obwohl ihre Leistung gar nicht gebraucht wird.

5. Blackout-Risiko: Steigender Stromverbrauch durch Sektorkopplung

Laut Netzentwicklungsplan wird im Jahr 2035 die Spitzenlast auf rund 106 GW anwachsen von heute 82 GW. Grund dafür ist die Sektorkopplung mit der fortschreitenden Elektrifizierung von Wärmesektor und Transportsektor.

Wir werden in Zukunft statt mit Gas deutlich mehr mit Strom aus Wärmepumpen und Fernwärme heizen. Auch die Mobilität soll sich mehr auf elektrischen Strom verlagern. Dadurch wird sich der Stromverbrauch insgesamt verdoppeln bis verfünffachen. 16

Heizungen werden vor allem im Winter gebraucht. Und je kälter die Außentemperatur ist, desto weniger effizient sind Wärmepumpen. Der Spitzenverbrauch des Jahres wird also auf besonders kalte Wintertage fallen.

Kalte Wintertage tragen wiederum das höchste Risiko für eine mehrtägige Dunkelflaute. Das Zusammentreffen von niedriger Erzeugungsleistung auf hohe Nachfrage ist ein großes Blackout-Risiko.

6. Blackout-Risiko: Komplexität durch intelligente Verbraucher & Smartgrid

Die Spitzenlast soll sich in Zukunft durch Lastmanagement senken lassen. Wenn Wind und Solar nicht liefern, sollen Verbraucher automatisch abgeschaltet werden.

So lässt sich der Verbrauch verschieben auf Zeiten mit viel Wind- und Solarstrom. Gefriertruhe, Waschmaschine oder Pufferspeicher macht es zum Beispiel nichts aus einige Stunden früher oder später anzulaufen.

Durch diese intelligenten Verbraucher steigt allerdings die Vernetzung und Komplexität im Stromnetz. Das sogenannte Smartgrid ist störanfälliger als unser heutiges dummes Netzwerk. 17

Es muss gar kein Terroranschlag per Hackerangriff wie in der Ukraine sein um das Smartgrid lahmzulegen. Es reicht schon ein Softwarefehler, ähnlich einem Flash-Crash durch Algorithmen an der Aktienbörse.

Selbst einfachste Software kann zu unerwarteten Konsequenzen führen, zum Beispiel bei der 50,2- und 49,5-Hertz-Problematik. Das ist ein Problem auf Erzeugerseite, aber ist genauso auf der Verbraucherseite denkbar.

Stromausfall vermeiden: mehr Versorgungssicherheit im Kraftwerkspark

Ursprünglich sollten im Zuge der Energiewende mehr als 100 Gaskraftwerke in Reserve gesicherte Leistung bereitstellen. Dies sind die auch in der nationalen Wasserstoff-Strategie beschworenen Langzeitspeicher, die in ferner Zukunft mit sauteurem klimaneutralen Gas laufen sollen. 18

Wir haben aber aktuell nur Gaskraftwerke mit insgesamt 27 GW Kapazität am Strommarkt in Deutschland. Das ist nicht einmal ein Drittel der bis 2035 benötigten gesicherten Leistung. In den nächsten drei Jahren werden nur 2 GW Gaskraftwerke zugebaut 19 und bis 2035 sind laut Netzentwicklungsplan nur 12 GW geplant. Das ist deutlich weniger Zubau als Rückbau durch Atomausstieg und Kohleausstieg.

Wegen der Genehmigungs- und Bauzeiten von 5 bis 7 Jahren müssten die bis 2030 benötigten Gaskraftwerke eigentlich längst in den Startlöchern stehen. Laut RWE und Uniper gibt es aber aktuell kein Geschäftsmodell um Gaskraftwerke profitabel zu betreiben. 20 21 Versorgungssicherheit in Deutschland lohnt sich nicht.

Kurzzeitspeicher wie Batterien sind wegen ihrer viel zu geringen Kapazität nicht für gesicherte Leistung geeignet. Selbst Pumpspeicherkraftwerke haben zu wenig Kapazität.

Brownout: Abschaltbare Lasten vs unkontrollierter Lastabwurf

Das letzte Mittel um bei Strommangel einen Blackout zu vermeiden sind Brownouts. Das sind erzwungene lokale und vorübergehende Lastabwürfe. Man spricht bei diesen bewusst in Kauf genommenen Stromausfällen auch von rollierenden Blackouts.

In Entwicklungsländern mit Strommangel sind Brownouts Alltag. Ich habe viel Zeit in Kathmandu in Nepal verbracht, wo man die Uhr nach dem nachmittäglichen Stromausfall zwischen 14 und 16 Uhr im Bezirk Thamel stellen konnte. Auch auf den Philippinen weiß jedes Kind was ein Brownout ist.

Was in Entwicklungsländern erzwungen wird, soll in Deutschland erkauft werden. Schon heute werden große Industrieverbraucher dafür bezahlt bei Strommangel keinen Strom zu verbrauchen. Auf der Stromrechnung bezahlst du dafür die AbLastV-Umlage, nach der Verordnung zu abschaltbaren Lasten.

Eigentlich sollte das neue Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetz diese bezahlten Brownouts auch auf Privathaushalte erweitern, zum Beispiel für Elektroautos und Wärmepumpen. Das Gesetz wurde aber unverständlicherweise nach 2 Jahren Entwurfsphase im Januar 2021 zurückgezogen.

Wenn es keine gesetzliche Grundlage für geplante Abschaltungen bei einzelnen Verbrauchern gibt, wird es in Zukunft womöglich unkontrollierte Brownouts geben. Ob das wirklich die bessere Alternative für die Stromrationierung der Zukunft ist?

Kathmandu lässt grüßen…

Leseempfehlung: Technik-Thriller “Blackout” von Marc Elsberg

Viele Deutsche glauben ein Stromausfall wird schon nicht so schlimm werden. Du auch?

Tatsächlich führt ein Blackout zu einem wochenlangen Zusammenbruch der Zivilisation mit vielen Todesopfern und schweren Schäden.

Marc Elsberg beschreibt in seinem Technik-Thriller Blackout* die krassen Folgen eines schweren Blackouts in Europa.

Er orientiert sich dabei realitätsnah an der Blackout-Folgen-Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag.

Den Bestseller gibt es auch als Hörbuch bei Audible*.

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Quellen

  1. Nationale Risikoanalyse von Katastrophen und Notlagen Bundesamt für Bevölkerungsschutz (2020)
  2. Sicherheitspolitische Jahresvorschau Bundesheer (2020)
  3. Folgen eines langandauernden und großräumigen Stromausfalls Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (2011)
  4. Bericht der deutschen Übertragungsnetzbetreiber zur Leistungsbilanz 2018-2022 50Hertz, Amprion, TenneT, TransnetBW (2020)
  5. Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung Bundesamt für Justiz (2020)
  6. Ausschreibung nach dem KVBG / Gebotstermin 1. September 2020 Bundesnetzagentur (2020)
  7. Phänomen Dunkelflaute – Der Kohle-Ausstieg hielt nur acht Tage Welt (2021)
  8. Netzentwicklungsplan Strom 2035 50Hertz, Amprion, TenneT, TransnetBW (2021)
  9. Versorgungssicherheit in Süddeutschland bis 2025 Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (2018)
  10. Für 2035 Gaszubau und Spitzenlast des Netzentwicklungsplan Strom 2035 heruntergerechnet auf Süddeutschland
  11. Report details causes of recent California rolling blackouts Arstechnica (2020)
  12. Quartalsbericht Bundesnetzagentur (2021)
  13. Monitoringbericht Bundesnetzagentur (2021)
  14. Großstörung im UK-Netz am 9. August 2019 Saurugg (2019)
  15. Von der Frequenzregelung mit Schwungmassen (netzstützende Maßnahmen) zur Winkelregelung mit Umrichtern (netzbildende Maßnahmen) Weber (2017)
  16. Sektorkopplung durch die Energiewende Quaschning (2016)
  17. Smart Metering und mögliche Auswirkungen auf die nationale Sicherheit Saurugg (2011)
  18. Dialogprozess Gas BMWI (2019)
  19. Zu- und Rückbau von Kraftwerken Bundesnetzagentur (2021)
  20. RWE reduziert Kraftwerkskapazität um ein Drittel n-TV (2020)
  21. Uniper-Chef: “Die Gefahr eines Blackouts ist da” Welt (2020)

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