13 Klima-Kipppunkte: Kommt es zur Klimakatastrophe?

Der Klimawandel wird zur unaufhaltsamen Katastrophe, wenn wir Kipppunkte im Klimasystem überschreiten. Stimmt das wirklich?

Radikale Klimaschützer wie die Letzte Generation begründen ihre Aktionen mit Klima-Kipppunkten.

“Die Kipppunkte rücken immer näher” und “die Klimakatastrophe wird uns überrollen” behaupten die Aktivisten.

Mit Kipppunkten sind Schwellenwerte im Klimasystem gemeint. Eine Überschreitung hat dramatische Folgen.

Manche Kipppunkte können sogar den Klimawandel selbst verstärken. Die Erderwärmung könnte so in einem Dominoeffekt außer Kontrolle geraten.

Bekannte Klima-Kipppunkte sind das Abschmelzen der Eisschilde oder das Auftauen des Permafrostbodens.

Kann aus dem trägen Klimawandel durch diese Effekte eine unaufhaltsame Klimakatastrophe werden?

Einfach erklärt: Was sind Klima-Kipppunkte?

Ein Kipppunkt ist die Stelle an der ein geradliniges Verhalten aus dem Ruder läuft. Sobald ein bestimmter Grenzwert erreicht ist, kommt es zu abrupten Änderungen.

Im Diagramm oben gibt es von x = 1 bis x = 4 ein lineares Verhalten für y. Bei x = 4 ist ein Kipppunkt. Das Verhalten von y ändert sich hier abrupt.

Leider wird der Begriff im Klimabereich nicht einheitlich verwendet. y ist verschieden besetzt.

Mit Klima-Kipppunkt kann gemeint sein:

  1. Treibhausgaskonzentration bei der eine dramatische Klimawandel-Folge angestoßen wird (y = Klimawandel-Folge)
  2. Treibhausgaskonzentration bei der eine Klimawandel-Folge die Erderwärmung beschleunigt (y = Erderwärmung)

Beispiel für 1. ist das Absterben der tropischen Korallenriffe. Ab einer bestimmten Temperatur sind die Korallen todgeweiht. Das hat aber keine Auswirkung auf die Erderwärmung.

Beispiel für 2. ist das Auftauen der Permafrostböden. Dadurch werden Treibhausgase freigesetzt, die wiederum die Erdtemperatur erhöhen. So beschleunigt sich der Klimawandel.

Leider werden die beiden Definitionen in der öffentlichen Diskussion oft durcheinander geworfen. Manche Menschen glauben übertrieben gesagt, das Absterben der Korallenriffe wäre unser aller Ende.

13 Klima-Kipppunkte: Welche Tipping Points gibt es?

Dies sind 13 der am besten belegten Klima-Kipppunkte:

  • Absterben tropischer Korallenriffe
    Höhere Temperaturen sind tödlich für Korallenriffe und ihre Ökosysteme.
  • Schmelzen des Eisschilds von Antarktis & Grönland
    Das Festlandeis in Grönland und der Westantarktis schmilzt ab.
  • CO2-Freisetzung aus Permafrost
    Der Permafrostboden auf der Nordhalbkugel taut auf und setzt CO2 frei.
  • Freisetzung von Methan aus dem Meer
    Bei höheren Temperaturen wird weniger gefrorenes Methan gebunden.
  • Absterben des Amazonas-Regenwaldes
    Feuer und Dürren sind ein hohes Risiko für den Regenwald.
  • Ökosystemwechsel in nordischen Wäldern
    Durch heißere Temperaturen wandern Nadelwälder nach Norden.
  • Eisfreies Nordpolarmeer im Sommer/Winter
    An jedem zusätzlichen eisfreien Tag wird weniger Sonnenlicht reflektiert.
  • Abschwächung & Kollaps der Atlantikzirkulation
    Die Atlantikzirkulation tauscht warmes Wasser im Süden mit kaltem Wasser im Norden.
  • Abrupte Störung der Monsunsysteme
    Niederschlagsmengen und -zyklen verändern sich durch Erderwärmung.
  • Aufbrechen von Stratokumuluswolken
    Bei hohen CO2-Konzentrationen ist die Stabilität der Wolken gefährted

Eine aktuelle Übersicht über die wissenschaftliche Literatur bewertet diese 13 Klima-Kippunkte.1

Welche der 13 Klima-Kipppunkte sind wahrscheinlich?

Wir steuern mit aktuellen Klimaschutzmaßnahmen auf weniger als 2,5°C Erderwärmung zu. Dadurch werden einige Klima-Kipppunkte mit höheren Aktivierungs-Temperaturen bereits ausgeschlossen.2

3 der 13 Klima-Kipppunkte treten erst bei sehr hoher Erderwärmung auf:

  • Die Arktis wird im Winter erst bei einer Erderwärmung von 13°C eisfrei.
  • Stratokumuluswolken brechen erst bei plus 8°C Erdtemperatur auf.
  • Ob und wann die Atlantikzirkulation kollabiert ist völlig unbekannt.

Auch der Ostantarktis-Eisschild wird erst bei sehr hohen Temperaturen abschmelzen. Ich betrachte im Rest des Artikels diese äußerst unwahrscheinlichen Kipppunkte nicht weiter.

2 weitere Klima-Kipppunkte sind erst bei 3-4°C Erderwärmung wahrscheinlich:

  • Ökosystemwechsel in nordischen Wäldern
  • Absterben des Amazonas-Regenwaldes

4 Klima-Kipppunkte können allerdings bereits beim aktuell prognostizierten Klimawandel eintreten:

  • 1-2°C Absterben tropischer Korallenriffe
  • 1–3°C CO2-Freisetzung aus Permafrost
  • 1–3°C Abschmelzen des Westantarktis-Eisschilds
  • 1–5°C Abschmelzen des Grönland-Eisschilds

Die noch fehlenden 4 Klima-Kipppunkte Arktis-Sommereis, Monsun, Meeres-Methan und Atlantikzirkulation-Abschwächung sind gar keine echten Kipppunkte, sondern zeigen lineares Verhalten. Das bedeutet allerdings auch, dass diese Elemente bereits heute inkrementell wirken.

Welche Folgen haben die 10 wahrscheinlichen Klima-Kipppunkte?

Das Abschmelzen der Eisschilde führt vor allem zu einem Meeresspiegelanstieg. Dies ist ein sehr langwieriger Prozess über Jahrhunderte bis Jahrtausende. Trotzdem kann selbst im 2°C-Szenario der Meeresspiegel bis 2100 um 33 bis 61 cm steigen.

Das Absterben der Korallenriffe ist ein tragischer Verlust für die Biodiversität. Störungen der Monsun-Systeme in Afrika und Südasien führen zu einer Veränderung bei Volumina und Timing von Niederschlägen.

Das Abschwächen der Atlantikzirkulation wirkt regional sehr verschieden. Die Nordhalbkugel kühlt ab, was dem Klimawandel entgegenwirkt und das Grönlandeis schützt. Die Tropen erwärmen sich dann allerdings noch stärker.

Die verbleibenden 5 Klimakipppunkte wirken vor allem als Klimawandelbeschleuniger:

  1. Permafrost
  2. Methan aus dem Meer
  3. Arktisches Sommereis
  4. Amazonas-Regenwald
  5. Nordische Wälder

Letztere sind die 5 Kipppunkte, die für einen möglichen Dominoeffekt verantwortlich gemacht werden.

Dominoeffekt: Klimakatastrophe durch Kipppunkte?

5 der Kipppunkte tragen selbst zur Erderwärmung bei. Durch Erreichung eines Kipppunkts könnte so der nächste Kipppunkt ausgelöst werden. Das Erreichen des ersten Kipppunkts könnte einen Dominoeffekt anstoßen. Die Erderwärmung würde abrupt außer Kontrolle geraten.

Nur so lässt sich aus den beherrschbaren normalen Klimawandel-Folgen ein existenzielles Risiko konstruieren. Deshalb wird dieses Szenario von radikalen Klimaaktivisten ständig wiederholt. Aber wie wahrscheinlich ist das?

Auch das versucht die oben genannte Übersicht über die wissenschaftliche Literatur zur Kipppunktforschung zu beantworten. Beim 3°C-Szenario RCP 4.5 führen Kipppunkte zu einer Erderwärmung von zusätzlich 0,13 °C bis 2100. Bis 2300 sind es 0,24 °C zusätzlich.

Allerdings wurde in dieser Untersuchung der Ökosystemwechsel in nordischen Wäldern nicht modelliert, der ab 3°C einsetzen kann. Die Folgen davon sind wohl noch nicht gut genug untersucht. Es ist nicht einmal klar, ob sie negativ oder positiv sind.

Insgesamt sind das kleine Zahlen im Vergleich zu den angenommenen 3°C menschengemachter Erderwärmung. Und das 3°C-Szenario RCP 4.5 ist bereits eine pessimistische Annahme. Bei realistischeren 2,5°C sind die Differenzen durch Kipppunkte noch kleiner.

Natürlich sind die Kipppunkte mit Unsicherheiten verbunden. Aber selbst eine Verdopplung wäre kein Weltuntergang. Die Unsicherheit des zugrundeliegenden Modells ist deutlich höher als die Temperaturdifferenzen durch Kipppunkte plus ihrer Unsicherheiten.

Zeitskalen: Wie schnell wirken Klima-Kipppunkte?

Wie bereits erwähnt, dauert es viele Jahrhunderte bis Jahrtausende, bis Grönland und die Westantarktis abgeschmolzen sind. Sogar mehrere Jahrtausende würde die Freisetzung des Methans im Meer dauern.

Die Abschwächung der Atlantikzirkulation und das Auftauen des Permafrosts bemisst sich immer noch in Jahrhunderten. Selbst das Sterben des Amazonas-Regenwaldes und der nordischen Wälder wird bis zu einem Jahrhundert dauern.

Es stimmt also nicht, dass diese Kipppunkte das Klimasystem über Nacht zum Kippen bringen würden. Nicht nur erfolgt die Wirkung in geologischen Zeitskalen auch die Aktivierung von Kipppunkten benötigt Zeit.

Bei nur zeitweiliger Überschreitung von Grenzwerten müssen Kipppunkte also nicht zwangsläufig ausgelöst werden. Je länger die Aktivierung dauert, desto mehr Zeit haben wir die CO2-Emissionen wieder zu senken.

Fast jedes realistische Szenario des Weltklimarats sieht sowieso einen Overshoot mit CO2-Reduktion in der 2. Hälfte des 21. Jahrhunderts vor. In mehreren Jahrhunderten können sogar die natürlichen CO2-Senken signifikant CO2 absorbieren.

Fazit: Sind Kipppunkte relevant?

Kipppunkte spielen klimatisch eine Rolle im 21. Jahrhundert. Aber die Wahrscheinlichkeit eines Dominoeffekts mit mehreren Grad Celsius zusätzlicher Erwärmung über die nächsten Jahrhunderte bleibt unwahrscheinlich.

Das ist nicht meine Einschätzung, sondern die des Literatur-Reviews:

“Overall, tipping elements will play a climatically significant role over the course of the 21st century, but the possibility of a “tipping point cascade” driving a couple or more degrees of additional warming over the next couple centuries remains unlikely.”

Es ist kontraproduktiv den unwahrscheinlichen Dominoeffekt für mehr Aufmerksamkeit zu missbrauchen. “I want you to panic” delegitimiert die Klimabewegung.

Der Weltuntergang bleibt auch nach Verfehlen des 1,5°-Ziels aus. Das Problem sind vielmehr die vorhersagbaren Folgen der Erderwärmung, die der Presse zu langweilig sind.

Jedes Hundertstel Grad Erderwärmung richtet inkrementell mehr Schaden an. Das heißt wir können zu jedem Zeitpunkt schlimmere Schäden vermeiden.

Wir müssen dazu aber rational und effizient handeln, ohne Panikmache und künstliche Zeitnot.

Quellen

  1. Mechanisms and Impacts of Earth System Tipping Elements Wang et al (2023)
  2. Plausible 2005–2050 emissions scenarios project between 2 °C and 3 °C of warming by 2100 Pielke et al (2022)

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