Gaspreisentwicklung Deutschland 2024: Ist die Energiekrise wirklich vorbei?

Gaspreise sind heute doppelt so teuer wie vor 2021. Trotzdem erklärt Habeck die Energiekrise für beendet. Was bedeutet das?

Erdgas ist in Deutschland und in Europa rund doppelt so teurer geworden als vor 2021.

Das liegt nicht am 2021 eingeführten CO2-Preis auf Gas und auch nicht an anderen Gebühren.

Es liegt an den hohen Beschaffungskosten für Erdgas in Europa, seitdem Russland nicht mehr liefert.

Alternativen zum russischen Pipelinegas sind teurer, insbesondere Flüssiggas (LNG).

Unsere anderen Pipeline-Lieferanten Norwegen und Niederlande können oder wollen die Produktion nicht erhöhen.

Eine signifikante Besserung ist nicht in Sicht. Gas in Europa wird wohl nie wieder so günstig werden wie vor 2021.

Der Höhepunkt der Energiekrise ist zwar vorbei, aber die hohen Gaskosten und Stromkosten werden bleiben.

Habeck erklärte im März 2024 die Energiekrise für beendet

Wirtschaftsminister Habeck trat am 19. März 2024 auf einer Energiekonferenz in Berlin auf und erklärte die deutsche Energiekrise für beendet:

“Der Gaspreis auf dem Weltmarkt hat Vorkrisenniveau erreicht.”

(Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Berlin Energy Transition Dialogue am 19.3.2024)

Diese Behauptung ist eine Lüge durch Weglassen. Die Preise auf dem wichtigsten Gasmarkt in den USA haben sich schon 2023 vollständig erholt. Aber dort gab es auch nie eine Energiekrise.

Man spricht ja von der “europäischen Energiekrise”. Und die europäischen Gaspreise bleiben hoch. Das Dutch TTF Natural Gas Future notiert heute doppelt so hoch wie vor der Energiekrise.

Dass Wirtschaftsminister Habeck die Energiekrise trotzdem für beendet erklärt, heißt vermutlich, dass er keine Hoffnung sieht die Preise zurück auf Vorkrisenniveau zu bringen.

Erdgas wird in Europa wohl auf Dauer teuer bleiben. Das wissen wir eigentlich schon seit der Ausweitung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022.

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass wir in Zukunft je wieder russisches Pipelinegas importieren werden, völlig egal wie der Ukrainekrieg ausgeht.

Gaspreiserhöhung in Deutschland: Gaspreisentwicklung 2000 bis 2024 [Chart]

Die deutlich höheren Beschaffungskosten schlagen sich auch in den Gaskosten für deutsche Endverbraucher nieder.

Vor 2021 lag der Gaspreis für Haushalte viele Jahre lang zwischen 6 Ct/kWh und 7 Ct/kWh. Seit der Energiekrise ist der Gaspreis zweistellig.

Der Löwenanteil der Gaspreiserhöhung entfällt auf die teureren Beschaffungskosten am Gasmarkt. Daran wird sich wie gesagt nichts ändern.

Ein kleiner Preisanstieg entfällt außerdem auf den CO2-Preis für Gas. Der wurde 2021 mit rund 0,5 Cents pro kWh eingeführt und soll sich bis 2025 gut verdoppeln.

Zusammensetzung des Gaspreises für Haushalte in Deutschland 2024

Der Gaspreis in Deutschland im 1. Halbjahr 2024 für Haushalte beträgt gut 10 Cents pro kWh mit ungefähr dieser Zusammensetzung1:

  • 6,88 Cents pro kWh: Beschaffung, Vertrieb
  • 2,11 Cents pro kWh: Netzentgelt
  • 0,87 Cents pro kWh: CO2-Preis
  • 0,82 Cents pro kWh: Steuern & Abgaben

für Einfamilienhäuser mit 20.000 kWh Jahresverbrauch inklusive 7% Mehrwertsteuer
Mehrfamilienhäuser und Wohnungen weichen geringfügig ab

Seit dieser Erhebung wurde die Mehrwertsteuer auf Erdgas von 7% auf 19% erhöht, wodurch alle 4 Posten um rund 11% teurer wurden.

Weltweiter Gaspreisvergleich: Wer hat das günstigste Erdgas?

Deutschland hat bekanntermaßen einen der teuersten Strompreise der Welt. Beim Gaspreis ist es nicht annähernd so schlimm.

Der schwedische und der brasilianische Gaspreis sind rund doppelt so teuer wie der deutsche. Auch in den Binnenstaaten Österreich und Schweiz ist der Gaspreis deutlich höher.

Man sieht aber auch deutlich günstigere Gaspreise in Ländern, die signifikant Erdgas fördern, z.B. USA, Kanada oder Tunesien, ganz zu schweigen von Iran, Algerien oder eben Russland.

Auch ein deutliches Preisgefälle in Südosteuropa ist erkennbar, wo über Turkstream russisches Gas und über die Transanatolische Pipeline aserbaidschanisches Gas nach Griechenland, Serbien und Bulgarien fließt.

Hier ist der weltweite Gaspreisvergleich:2

  • 20,8 Cents pro kWh: Schweden
  • 20,0 Cents pro kWh: Brasilien
  • 19,3 Cents pro kWh: Schweiz
  • 16,7 Cents pro kWh: Ungarn
  • 16,5 Cents pro kWh: Irland
  • 16,3 Cents pro kWh: Singapur
  • 14,8 Cents pro kWh: Italien
  • 14,7 Cents pro kWh: Österreich
  • 14,4 Cents pro kWh: Portugal
  • 13,4 Cents pro kWh: Niederlande
  • 13,0 Cents pro kWh: Hongkong
  • 11,9 Cents pro kWh: Frankreich
  • 11,6 Cents pro kWh: Tschechien
  • 11,1 Cents pro kWh: Dänemark
  • 11,0 Cents pro kWh: Chile
  • 9,8 Cents pro kWh: Spanien
  • 9,8 Cents pro kWh: Deutschland
  • 9,6 Cents pro kWh: Belgien
  • 9,5 Cents pro kWh: Großbritannien
  • 9,0 Cents pro kWh: Australien
  • 8,7 Cents pro kWh: Barbados
  • 8,5 Cents pro kWh: Polen
  • 7,2 Cents pro kWh: Japan
  • 6,3 Cents pro kWh: Mexiko
  • 6,3 Cents pro kWh: Südkorea
  • 6,0 Cents pro kWh: Neuseeland
  • 6,0 Cents pro kWh: Griechenland
  • 5,8 Cents pro kWh: Bulgarien
  • 5,6 Cents pro kWh: Slowakei
  • 5,1 Cents pro kWh: Indien
  • 5,0 Cents pro kWh: Kolumbien
  • 3,9 Cents pro kWh: USA
  • 3,6 Cents pro kWh: Kanada
  • 3,5 Cents pro kWh: Serbien
  • 2,7 Cents pro kWh: Tunesien
  • 2,6 Cents pro kWh: Taiwan
  • 2,4 Cents pro kWh: Malaysia
  • 2,0 Cents pro kWh: Ukraine
  • 1,4 Cents pro kWh: Türkei
  • 1,3 Cents pro kWh: Bangladesch
  • 1,3 Cents pro kWh: Aserbaidschan
  • 1,2 Cents pro kWh: Bahrain
  • 0,7 Cents pro kWh: Russland
  • 0,7 Cents pro kWh: Argentinien
  • 0,5 Cents pro kWh: Belarus
  • 0,3 Cents pro kWh: Algerien
  • 0,1 Cents pro kWh: Iran

für Haushalte weltweit im September 2023

Wie kam es zur Gaskrise & Energiekrise seit 2021?

Russland erfüllte ab dem zweiten Halbjahr 2021 nur noch langfristige Gaslieferverträge, ohne die vorher üblichen kurzfristigen Zusatzverkäufe.

Der Gasfluss durch die Jamal-Pipeline (Belarus, Polen) kam ab Oktober 2021 komplett zum erliegen.34

Mit der Großinvasion auf die Ukraine und der Ausweitung des Ukrainekriegs im Februar 2022 folgte eine Drosselung der Gasflüsse durch die Transgas-Pipeline (Ukraine, Slowakei, Tschechien).

Die Nord Stream 1 Pipeline wurde im Juni 2022 auf 40%, im Juli 2022 auf 20% der Kapazität gedrosselt. Seit dem 31. August 2022 floß gar kein Gas mehr durch Nord Stream 1.

Ende September 2022 wurde Nord Stream 1 schließlich beschädigt, zusammen mit der nie in Betrieb genommenen Pipeline Nord Stream 2.

Die direkten Importe von Flüssiggas (LNG) nach Deutschland über die temporären LNG-Terminals seit Anfang 2023 machen nur sehr kleine Mengen aus. Ein großer Teil der Gasimporte aus der Niederlande und v.a. Belgien dürften aber aus den LNG-Terminals in Brügge und Rotterdam stammen.

Auch bei kleinen Abnahmemengen kann der teurere LNG-Preis den europäischen Gaspreis dominieren. In einem Marktgleichgewicht setzt der teuerste noch akzeptierte Anbieter den Gleichgewichtspreis.

Energiekrise: Verlauf der Gasimporte in die EU

Auch an den Gasimporten in die 27 Länder der EU sieht man deutlich den Wegfall der russischen Gaslieferungen über die Pipelines Jamal, Transgas und Nord Stream.5

Russisches Erdgas kommt aber über die Pipeline Turkstream durch die Türkei bis heute in die Europäische Union, wenn auch in deutlich geringeren Mengen als vor 2022.

Erkennbar ist auch der Anstieg der LNG-Importe per Schiff in die EU. Das Flüssiggas konnte einen Teil des weggefallenen russischen Pipelinegas ersetzen. Ironischerweise stammt ein ordentlicher Anteil der LNG-Importe aus Russland.

Die Kapazitäten der LNG-Terminals sind aber nach wie vor nicht voll ausgelastet. Der teure Gaspreis sorgt dafür, dass lieber beim Konsum eingespart wird.

Die Gasnachfrage der EU in den Jahren 2023 und 2024 ist entsprechend um rund 20% niedriger als in den Jahren 2019-2021.6

LNG: Flüssiggas als Ausweg aus der Gaskrise?

Flüssiggas (LNG) wurde in der deutschen Debatte oft als Lösung der Gaskrise und Energiekrise gesehen. Gegen akute Erdgas-Knappheit, wie sie für die Winter 2022 und 2023 erwartet wurde, hilft LNG tatsächlich.

Entsprechend schnell wurden 2022 deshalb LNG-Terminals in Deutschland durchgeboxt:7

  • 3 temporäre LNG-Terminals sind seit Januar 2023 in Betrieb.
  • 2 temporäre LNG-Terminals gehen 2024 in Betrieb.
  • 3 stationäre LNG-Terminals sind für 2026 und 2027 geplant.

Temporäre LNG-Terminals sind schwimmende Regasifizierungsschiffe (FSRU: Floating Storage and Regasification Unit), die von Deutschland für vermutlich etwa 200.000 Euro pro Tag gemietet werden.

Sobald die stationären LNG-Terminals 2026 und 2027 fertig sein sollen, dürfte die Gasbeschaffung also günstiger werden. Die Verschiffung von Erdgas wird aber immer teuer bleiben. Flüssiggas wird auch mit stationären Terminals immer teurer sein als Pipelinegas.

Flüssiggas ist durch den zusätzlichen Aufwand bei Gasifizierung, Verschiffung und Regasifizierung auch deutlich klimaschädlicher. Noch dazu stammt quasi alles neue LNG auf dem Markt seit 2021 aus den klimaschädlichen Schiefergas-Quellen der USA.8

Durch die hohen Kosten ist das Flüssiggas also kein gleichwertiger Ersatz für russisches Gas und keine Lösung für die Energiekrise. Erdgas ist zwar nicht knapp, bezahlbares Erdgas aber schon.

Fazit: Günstiges Erdgas ist in Europa Geschichte

Deutschland hat sich im europäischen Vergleich besonders abhängig gemacht von russischem Erdgas. Gasheizungen galten bis vor wenigen Jahren noch als umweltfreundlich. Im Vergleich zu Öl oder Holz sind sie das auch.

Auch die deutsche Energiewende baute stark auf günstiges russisches Erdgas um Kohle und Kernkraft zu ersetzen. Dass die Energiewende nun viel teurer werden wird, wird sich in verfehlten Klimazielen niederschlagen.

Und die soziale Akzeptanz leidet. Hohe Energiepreise haben um Größenordnungen mehr politische Sprengkraft als hohe CO2-Emissionen. Das hilft Parteien wie der AfD.

Obwohl die deutsche Energiepolitik 2021/2022 vor unseren Augen gegen die Wand gefahren ist, scheint es keine Korrektur zu geben.

Auf dem Höhepunkt der Energiekrise wurden sogar noch die letzten 6 AKW abgeschaltet. Habeck will lieber Gaskraftwerke ausbauen, obwohl das Geld dafür knapp ist.

Statt “Zeitenwende” geht es weiter wie bisher. Wie soll das klappen, wenn günstiges Erdgas in Europa nicht zurückkommt?

Updates:

  • 13.10.2022: Erstmals veröffentlicht.
  • 25.06.2024: Grundlegend überarbeitet mit aktuellen Zahlen

Quellen

  1. BDEW-Gaspreisanalyse Februar 2024 BDEW (2024)
  2. Erdgaspreise Petrolprices (2024)
  3. Ausgewählte Erdgaslieferungen nach Deutschland Statistisches Bundesamt (2023)
  4. Aktuelle Lage Gasversorgung Bundesnetzagentur (2024)
  5. European natural gas imports Bruegel (2024)
  6. European natural gas demand tracker Bruegel (2024)
  7. Flüssigerdgasterminal: Situation in Deutschland Wikipedia(2024)
  8. The Greenhouse Gas Footprint of Liquefied Natural Gas (LNG) Exported from the United States Howarth (2023)

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