Bill Gates hat über Lösungen zur Klimakrise geschrieben. Hält das Buch “Wie wir die Klimakatastrophe verhindern”, was es verspricht?
Inhalt
Bill Gates ist der bekannteste humanitäre Helfer der Gegenwart. Seit Jahrzehnten bekämpfen seine Frau Melinda und er Krankheiten im globalen Süden.
Weil die Erderwärmung arme Bauern in Entwicklungsländern am meisten treffen wird, widmet er sich seit Jahren auch dem Klimaschutz.
In seinem Buch Wie wir die Klimakatastrophe verhindern* fasst er Erfahrungen mit seinen Klimaschutz-Investitionen zusammen. Dazu gibt es jede Menge Kontext aus der Klimawissenschaft.
Klar, in dem Buch steht für Klimaschutz-Interessierte nix Neues. Es wäre ja auch ziemlich vermessen, wenn Bill Gates die Experten beim Weltklimarat belehren würde.
Ich als Klimablogger finde Gates Klima Buch trotzdem lesens- oder hörenswert. Es ist ein gut geschriebener Überblick zum aktuellen Stand der Wissenschaft.
Nur bei der Kernkraft muss ich ihm heftig widersprechen. Wir haben keine Zeit auf neue Reaktoren zu warten, die es bisher nur auf dem Papier gibt. Mehr dazu später in der Rezension:
Zusammenfassung: Wie wir die Klimakatastrophe verhindern
Hier sind die drei Kernthesen von Bill Gates Buch Wie wir die Klimakatastrophe verhindern*:
- Wir müssen 100% der Treibhausgase eliminieren. 80% oder 60% reichen nicht.
- Wir müssen vorhandene klimafreundliche Technologien besser und schneller einsetzen.
- Wir müssen alle Technologien erforschen, die noch zur Treibhausgasneutralität fehlen.
Bill Gates betont, dass die vollständige Dekarbonisierung der Welt eine sehr schwierige Aufgabe ist. Er warnt vor übertriebenem Optimismus bei einfachen Teillösungen wie Elektroautos oder Solar und Wind.
Keine einzelne Technologie kann die Klimakrise verhindern. Wir müssen alle Treibhausgasverursacher in allen Sektoren eliminieren, also:
- 7% Gebäude
- 16% Transport
- 19% Landwirtschaft
- 27% Elektrizität
- 31% verarbeitendes Gewerbe
Bill Gates geht in seinem Buch alle 5 Sektoren der Reihe nach durch. Für jeden Sektor nennt er emissionsfreien Ersatz für bestehende Technologien und welche Extrakosten diese verursachen.
Bill Gates: Technologie als Lösung für die Klimakrise
Bill Gates ist ein Technologie-Nerd. Auch in seinem Klima-Buch geht es in erster Linie um klimafreundliche Technologien.
Warum auch nicht? Die Ursachen der Erderwärmung sind schlechte Technologien. Bessere Technologien können die Klimakrise lösen.
Und wenn Bill Gates lösen sagt, dann meint er damit eine radikale Auslöschung aller Treibhausgasemissionen von 51 Milliarden Tonnen heute auf 0 im Jahr 2050.
Dafür reicht freiwilliger persönlicher Verzicht nicht aus. Es reicht auch nicht klimaschädliche Technologien effizienter zu machen. Sie müssen vollständig durch klimafreundliche Technologie ersetzt werden.
Gates ist Amerikaner und die in Deutschland üblichen Denkverbote wie CCS, Gentechnik und Kernkraft stören ihn nicht. Er schreibt technologieoffen über das ganze Spektrum.
Grüne Extrakosten: Nur Kostensenkung führt zur Klimaneutralität
Bill Gates weiß durch seine Erfahrung aus Entwicklungsländern, dass klimafreundliche Alternativen bezahlbar sein müssen um globale Gerechtigkeit zu ermöglichen.
Deshalb betont er die Green Premiums. Das sind grüne Extrakosten für klimafreundlichen Ersatz einer klimaschädlichen Technologie. Nur wenn Green Premiums negativ werden, ist eine weltweite Adoption wahrscheinlich.
Zum Beispiel sind Elektroautos heute teuer. Erst wenn Elektroautos günstiger werden als Diesel und Benziner, haben sie eine Chance sich weltweit durchzusetzen. Das gilt besonders im globalen Süden.
Ein Weg um grüne Extrakosten zu senken ist ein größeres Angebot an Innovationen. Seit 2015 investiert Bill Gates deshalb mit Breakthrough Energy in klimafreundliche Grundlagenforschung.
Ein weiterer Weg um Green Premiums zu mindern ist eine größere Nachfrage nach klimafreundlichen Technologien. Je mehr Anreize die Politik schafft, desto schneller sorgt die Lernkurve für günstige Preise.
Ein dritter Weg sind CO2-Preise, aber die sind schwer international durchzusetzen.
Green Premiums sind Bill Gates Alternative zu CO2-Vermeidungskosten. Wie man die Effizienz von Klimaschutzmaßnahmen ist egal. Effizienz überhaupt nicht messen, wie bei der deutschen Energiewende, ist eine furchtbare Idee. Was man misst, verbessert man.
Kritik: Bill Gates mag keine Leichtwasserreaktoren
Bei der Betrachtung des Stromsektors fällt auf, dass Bill Gates die traditionelle Kernkraft mit Leichtwasserreaktoren nicht als Lösung sieht. Das ist eine große Überraschung.
Alle bisherigen Erfolge bei der Dekarbonisierung des Stromsektors gehen auf Wasserkraft und Kernkraft zurück, zum Beispiel in den Vorreiter-Ländern Schweden, Frankreich oder Norwegen.
Kernkraft und Wasserkraft sind deutlich schneller ausbaubar als Solar und Wind. Wasserkraft ist abhängig von Standortfaktoren, Kernkraft nicht.
Genau das schreibt Bill Gates auch in seinem Buch:
“Here’s the one-sentence case for nuclear power: It’s the only carbon-free energy source that can reliably deliver power day and night, through every season, almost anywhere on earth, that has been proven to work on a large scale.”
Wieso also setzt sich Bill Gates nicht für eine Serienfertigung von Kernkraftwerken ein, ähnlich wie der Messmer-Plan in Frankreich? Die deutsche Energiewende ist heute noch nicht so weit, wie die französische Energiewende in den Achtzigern, trotz viel höherer Kosten.
Statt heute Kernkraftwerke zu bauen, vertröstet er lieber auf Reaktoren der Generation IV. Die sind frühestens Mitte der dreißiger Jahre einsatzbereit und haben im Stromsektor keine signifikanten Vorteile gegenüber der aktuellen Generation III. Kernkraftwerke sind heute schon sicher , klimafreundlich und günstig. Wir brauchen Hochtemperaturreaktoren im Wärmesektor, aber nicht im Stromsektor.
Leider begründet Bill Gates seine Ablehnung traditioneller Kernkraftwerke nicht im Buch. Auch bei einer Web-Recherche wurde ich nicht schlauer. Aus meiner Sicht ist die Ablehnung heutiger Reaktoren ein großer Fehler. Wir müssen jetzt handeln, nicht erst 2035 oder 2040.
Jetzt frage ich mich natürlich, ob alle Technologien, die Bill Gates für unreif hält auch wirklich unreif sind. Wenn er sich bei der Kernkraft täuscht, dann vielleicht auch bei Düngemitteln oder Erdkabeln…
19 Technologien, die noch erforscht werden müssen
Eine der 3 Kernthesen von Bill Gates ist, dass wir noch nicht alle Technologien für eine erfolgreiche Dekarbonisierung haben. Wir wissen zum Beispiel, wie man Wasserstoff herstellt, aber es gibt noch keine serienreife und bezahlbare Lösung.
Hier sind 19 Technologien, die laut Bill Gates noch ihre Maturität erreichen müssen:
- Wasserstofferzeugung ohne Treibstoffemissionen
- Stromspeicher in Netzgröße für saisonalen Ausgleich
- Synthetische Kraftstoffe
- Biokraftstoffe der zweiten Generation
- Zement ohne Treibstoffemissionen
- Stahl ohne Treibstoffemissionen
- Pflanzenbasiertes Fleisch sowie Laborfleisch und -milch
- Düngemittel ohne Treibstoffemissionen
- Kernspaltung der vierten Generation
- Kernfusion
- CO2-Abscheidung aus der Luft und aus dem Abgasstrom
- Erdkabel für Strom
- Plastik ohne Treibstoffemissionen
- Geothermie
- Pumpwasserspeicher
- Wärmespeicher
- Nahrungspflanzen, die gegen Dürre und Flut beständig sind
- Alternativen zu Palmöl ohne Treibstoffemissionen
- Kühlmittel ohne F-Gase
All diese Technologien sind an verschiedenen Punkten im Climate Tech Hype Cycle.
Exkurs: deutsche Medien und das Tabuthema Kernkraft
An den Reaktionen auf die Neuerscheinung von Bill Gates Klima Buch im Februar 2021 lässt sich sehr gut das deutsche Tabuthema Kernkraft ausmachen.
Der deutsche Sonderweg mit dem Atomausstieg weltweit wird in den Medien als Clickbait genutzt und teilweise verbissen verteidigt:
- Spiegel “Gates hält Atomkraft für unerlässlich” (Unterüberschrift und Teaser)
- n-TV “Kernkraft ist unerlässlich” (Überschrift)
- DPA/AFP “Bill Gates setzt im Kampf gegen Klimawandel auf Atomkraft” (Überschrift)
- Heise “Bill Gates investiert Milliarden gegen Klimawandel und plädiert für Atomkraft” (Überschrift)
- Focus “Bill Gates will das Klima retten – und setzt dabei auf neue Atomkraftwerke” (Überschrift)
- Stern “Bill Gates will Milliarden in Klimaschutz investieren und fordert mehr Kernkraft” (Überschrift)
Kaum anders schaut es bei den selbsterklärten Qualitätsmedien aus. Die Süddeutsche hat mit “Des Retters Kernkraft” die wohl clickbaitigste Überschrift. Die FAZ teasert mit Kernkraft, aber hat für die Überschrift einen anderen Clickbait gefunden: “Bill Gates warnt die deutsche Autoindustrie”.
Ein weiteres selbsterklärtes Qualitätsmedium hat den Vogel abgeschossen. Im Handelsblatt wurde eine Replik auf Bill Gates veröffentlicht. Die “5 Irrtümer zur Atomkraft” sind zum Fremdschämen – besonders Nummer 1 und 3. Hier ist ne passende Antwort.
Das einzige echte Qualitätsmedium ohne Clickbait ist offenbar die Zeit. (Paywall) In einem lesenswerten Interview mit Bill Gates taucht auch eine Frage zur Kernkraft auf und deren Polarisation in Deutschland. Ich fühle mich bestärkt in meinem Zeit-Abo.
Zum Vergleich: In bedeutenden englischen Medien wird die Kernkraft gar nicht erwähnt oder wenn dann nur am Rande:
- BBC (Nuclear nicht erwähnt)
- The Guardian (Nuclear nicht erwähnt)
- Financial Times (Kernfusion erwähnt, Kernspaltung aber nicht)
- New York Times (Nuclear im Nebensatz erwähnt)
- Bloomberg (Nuclear im Nebensatz erwähnt)
- Time (Nuclear im Nebensatz erwähnt)
- Forbes (eigener Absatz über Nuclear)
Werden wir in Deutschland jemals wieder ohne Denkverbote über die Kernkraft reden können?
Auszüge aus dem Buch: Lesenswerte Zitate von Bill Gates
Sorry, die Zitate sind aus dem amerikanischen Original. In Deutschland gibt es wegen der misslungenen Urheberrechtsreform leider kein Fair Use.
“A 50 percent drop in emissions wouldn’t stop the rise in temperature; it would only slow things down, somewhat postponing but not preventing a climate catastrophe.”
“Even if climate change doesn’t rank as an existential threat to humanity, it will make most people worse off, and it will make the poorest even poorer.”
“Small-scale solar can be an option for people in poor, rural areas who need to charge their cell phones and run lights at night. But that kind of solution is never going to deliver the massive amounts of cheap, always-available electricity these countries need to jump-start their economies.”
“The sun and the wind are intermittent sources, meaning that they don’t generate electricity 24 hours a day, 365 days a year. But our need for power is not intermittent; we want it all the time”
“Inventors have studied all the metals we could use in batteries, and it seems unlikely that there are materials that will make for vastly better batteries than the ones we’re already building. I think we can improve them by a factor of 3, but not by a factor of 50.”
“Purely in terms of emissions, the carbon in plastics is not such bad news. Because plastics take so long to degrade, all the carbon atoms that go into them are atoms that won’t go into the atmosphere and drive up the temperature—at least not for a very long time.”
“Of all the materials I’ve covered in this chapter, cement is the toughest case of all. It’s hard to get around that simple fact—limestone plus heat equals calcium oxide plus carbon dioxide.”
“the bigger the vehicle you want to move, and the farther you want to drive it without recharging, the harder it’ll be to use electricity as your power source”
“But we can’t just go after this low-hanging fruit. Now that the movement to address climate change is getting serious, we’ll need to focus on the hard parts too: electricity storage, clean fuels, cement, steel, fertilizer, and so on.”
“For example, if “reduce by 2030” is the only measure of success, then it would be tempting to replace coal-fired power plants with gas-fired ones; after all, that would reduce our emissions of carbon dioxide. But any gas plants built between now and 2030 will still be in operation come 2050”
“Innovation is not just a matter of inventing a new machine or some new process; it’s also coming up with new approaches to business models, supply chains, markets, and policies that will help new inventions come to life and reach a global scale. Innovation is both new devices and new ways of doing things.”
“In the longer term, as we get closer to net-zero emissions, the carbon price could be set at the cost of direct air capture, and the revenues could be used to pay for pulling carbon out of the air.”
“But putting this new energy system in place requires concerted political action. That’s why engaging in the political process is the most important single step that people from every walk of life can take to help avoid a climate disaster.”
“As for the ideas you can’t support, you may feel compelled to speak out, and that’s understandable. But I hope you’ll spend more time and energy supporting whatever you’re in favor of than opposing whatever you’re against.”
Lesenswertes Klima Buch: Wie wir die Klimakatastrophe verhindern
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(gelesen in Englisch vom Chefnerd Wil Wheaton)
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